Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
Jem, der erste seit sechs Jahren. Die reinste Kälte, die den reinsten Schmerz brachte.
»Will.«
Ein Flüstern drang an sein Ohr, von einer Stimme, die ihm sehr vertraut war. Will drehte den Kopf und musste unwillkürlich an die alte Molly denken. Aber in der Regel bewegten Geister sich nur selten von dem Ort weg, an dem sie gestorben oder begraben waren. Und außerdem: Was sollte sie jetzt von ihm wollen?
Zwei Augen, klar und dunkel, trafen sich mit seinen. Der Rest der Gestalt war nicht direkt transparent, sondern wirkte wie in Silber gefasst: die blonden Haare, das puppenhafte Gesicht, das weiße Kleid, in dem sie gestorben war. Blut, rot wie eine Blüte, leuchtete auf ihrer Brust.
»Jessamine«, sagte er.
»Frohe Weihnachten, Will.«
Sein Herz, das einen Moment ausgesetzt hatte, schlug weiter und das Blut rauschte wieder durch seine Adern. »Jessamine, warum … was tust du hier?«
Sie zog einen kleinen Schmollmund. »Ich bin hier, weil ich hier gestorben bin«, erwiderte sie und ihre Stimme gewann an Kraft. Es war nicht ungewöhnlich, dass ein Geist sichtbarer wurde und seine Stimme wiedererlangte, wenn er sich in der Nähe eines Menschen befand – insbesondere dann, wenn dieser ihn auch hören konnte. Jessamine zeigte auf den Innenhof zu ihren Füßen, wo Will sie in den Armen gehalten hatte, als sie im Sterben lag und ihr Blut über das Pflaster gelaufen war. »Freust du dich nicht, mich zu sehen, Will?«, fragte sie.
»Sollte ich das denn?«, erwiderte er. »Jessie, normalerweise bekomme ich Geister nur dann zu sehen, wenn es um irgendwelche unerledigten Dinge geht oder irgendeinen Kummer, der sie an diese Welt bindet.«
Jessamine hob den Kopf und schaute hinauf in die Wolken. Obwohl die Flocken um sie herumwirbelten, stand sie vollkommen unberührt da, wie unter einer Glasglocke. »Und wenn ich solch einen Kummer hätte, würdest du mir helfen, ihn zu beseitigen? Im Leben hast du ja nie viel um mich gegeben.«
»Doch, das habe ich«, widersprach Will. »Und es tut mir sehr leid, wenn du den Eindruck hattest, mir läge nichts an dir oder ich würde dich sogar hassen, Jessamine. Ich denke, du hast mich mehr an mich selbst erinnert, als mir lieb war, und deshalb bin ich mit dir genauso hart ins Gericht gegangen wie mit mir selbst.«
Bei diesen Worten schaute Jessamine ihn an. »Nanu, warst du da gerade offen und ehrlich, Will Herondale? Du hast dich wirklich sehr verändert.« Sie trat einen Schritt zurück und Will bemerkte, dass ihre Füße keine Spuren im frischen Schnee hinterließen. »Ich bin hier, weil ich im Leben keine Schattenjägerin sein wollte, die Nephilim nicht schützen wollte. Doch nun hat man mich mit dem Schutz des Instituts beauftragt, solange es diesen Schutz benötigt.«
»Und das macht dir nichts aus?«, fragte Will. »Hier zu sein, hier bei uns, wenn du eigentlich ins Reich des Todes hättest hinübergehen können …«
Jessamine rümpfte die Nase. »Ich wollte aber nicht hinübergehen. Schon im Leben wurde mir so vieles abverlangt – der Erzengel allein weiß, was erst danach kommen wird. Nein, nein, ich bin hier glücklich, wenn ich über euch wache, still und schwebend und unbemerkt.« Ihr silberblondes Haar schimmerte im Mondlicht, als sie den Kopf in Wills Richtung neigte. »Allerdings treibst du mich bald in den Wahnsinn.«
»Ich?«
»Allerdings. Ich habe ja schon immer gesagt, dass du einmal einen schrecklichen Verehrer abgeben würdest – und nun bist du auf dem besten Wege, es auch zu beweisen.«
»Ist das dein Ernst?«, fragte Will. »Du bist wie der Geist des alten Marley von den Toten zurückgekehrt, nur um mir bezüglich meiner romantischen Aussichten zuzusetzen?«
»Welche Aussichten? Du hast Tessa auf so viele Kutschfahrten mitgenommen, dass sie aus dem Gedächtnis einen Stadtplan von London zeichnen könnte. Aber hast du ihr auch einen Heiratsantrag gemacht? Nein, hast du nicht. Eine Dame kann sich selbst aber keinen Antrag machen, William, und sie kann dir auch nicht sagen, dass sie dich liebt, solange du ihr nicht deine Absichten erklärst!«
Will schüttelte den Kopf. »Jessamine, du bist unverbesserlich.«
»Aber ich habe recht«, konterte sie. »Wovor hast du Angst?«
»Ich fürchte, wenn ich ihr meine Absichten erkläre, wird sie sagen, dass sie meine Liebe nicht erwidern könne – nicht auf die Art und Weise, wie sie Jem geliebt hat.«
»Sie wird dich auch nicht so lieben, wie sie Jem geliebt hat. Sie wird dich so lieben, wie sie dich
Weitere Kostenlose Bücher