Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
Charlottes und Henrys Liebe unerschütterlich wie eh und je. Ganz verheilen würde die Wunde wohl nie, das wusste Tessa – weder bei ihr noch bei Will. Doch als der Dezember mit kalten Temperaturen voranschritt und Will immer häufiger lächelte und regelmäßiger aß und der gequälte Ausdruck in seinen Augen zu schwinden begann, konnte auch sie wieder leichter atmen und neue Hoffnung schöpfen.
»Hm«, machte Will nun, wippte leicht auf den Fersen vor und zurück und ließ den Blick durch den Ballsaal schweifen. »Da magst du recht haben. Ich glaube, es war tatsächlich um die Weihnachtszeit herum, dass ich mir die Tätowierung mit dem Walisischen Drachen zugelegt habe.«
Bei diesen Worten musste Tessa sich anstrengen, nicht feuerrot anzulaufen. »Wie um alles in der Welt ist denn das passiert?«
Will machte eine lässige Handbewegung. »Ich war betrunken …«
»Unsinn. Du bist nie wirklich betrunken gewesen.«
»Ganz im Gegenteil: Um einen Zustand der Volltrunkenheit vorgeben zu können, muss man mindestens einmal volltrunken gewesen sein, sozusagen als Gedächtnisstütze. Sechs-Finger-Nigel hatte einen ordentlichen Apfelpunsch serviert …«
»Du willst doch nicht im Ernst behaupten, dass es tatsächlich einen Sechs-Finger-Nigel gibt?«
»Selbstverständlich gibt es ihn …«, setzte Will grinsend an, doch dann verschwand sein Lächeln. Er schaute an Tessa vorbei, quer durch den Ballsaal.
Tessa folgte seinem Blick und entdeckte den groß gewachsenen hellblonden Gast, der sich kurz zuvor mit Charlotte unterhalten hatte. Er steuerte durch die Menge direkt auf sie zu.
Der Mann war kräftig gebaut, etwa Ende dreißig und hatte eine lange Narbe am Kinn, zerzauste blonde Haare, blaue Augen und sonnengebräunte Haut, die vor seinem gestärkten weißen Hemd noch dunkler erschien. Und er hatte irgendetwas Vertrautes an sich – etwas, das Tessa jedoch trotz aller Mühe nicht genauer benennen konnte.
Sekunden später blieb er direkt vor ihnen stehen. Sein Blick streifte über Wills Gesicht; seine Augen leuchteten in einem helleren Blauton als Wills, fast schon kornblumenblau, und waren von kleinen Fältchen umgeben, die sich in die gebräunte Haut gegraben hatte. »Bist du William Herondale?«, fragte er.
Will nickte stumm.
»Ich bin Elias Carstairs«, stellte der Mann sich vor. »Jem Carstairs war mein Neffe.«
In diesem Moment wurde Will kreidebleich und Tessa erkannte nun, was ihr an dem Mann so vertraut vorgekommen war: Irgendetwas an seiner Haltung, an der Form seiner Hände erinnerte sie an Jem. Da Will zu keiner Antwort fähig schien, bestätigte Tessa: »Ja, das ist Will Herondale. Und ich bin Theresa Gray.«
»Die Gestaltwandlerin«, sagte Elias. »Sie waren mit James verlobt, ehe er der Bruderschaft der Stille beigetreten ist.«
»Das stimmt«, bestätigte Tessa ruhig. »Ich liebe ihn sehr.«
Elias musterte sie – nicht feindselig oder herausfordernd, nur interessiert. Dann wandte er sich erneut Will zu. »Und du warst sein Parabatai?«
Will fand seine Stimme wieder. »Das bin ich noch immer«, entgegnete er und hob trotzig das Kinn.
»James hat mir von dir erzählt«, sagte Elias. »Nach meiner Rückkehr aus China habe ich ihn gefragt, ob er nicht zu mir kommen und mit mir in Idris leben wolle. Wir hatten ihn aus Shanghai fortgeschickt, weil die Stadt einfach nicht sicher war, da Yanluos Günstlinge noch immer frei herumliefen und auf Rache sannen. Auf meine Bitte, zu mir nach Alicante zu ziehen, antwortete James mit einem schlichten Nein, er könne nicht. Ich bat ihn, noch einmal darüber nachzudenken; schließlich waren wir seine Familie, die letzten Blutsverwandten. Er erwiderte nur, er könnte seinen Parabatai nicht verlassen und manche Dinge wären nun einmal wichtiger als Blutsverwandtschaft.« Elias’ hellblaue Augen blickten Will unverwandt an. »Ich habe hier ein Geschenk für dich, Will Herondale. Etwas, das ich James zum Tag seiner Volljährigkeit überreichen wollte, weil sein Vater nicht mehr lebt und nicht mehr persönlich dazu in der Lage ist. Jetzt kann auch ich es ihm nicht mehr geben.«
Will war vor Anspannung steif wie eine Bogensehne, die kurz vor dem Zerreißen stand. Mühsam erwiderte er: »Ich habe nichts getan, wofür ich ein Geschenk verdienen würde.«
»Ich denke doch.« Elias löste ein Kurzschwert in einer kunstvoll verzierten Scheide von seinem Gürtel und streckte es Will entgegen, der es nach kurzem Zögern nahm. Ein verschlungenes Muster aus Blättern und
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