Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
Runen zierte die Schwerthülle, die im goldenen Licht schimmerte.
Mit einer entschlossenen Bewegung zog Will das Schwert aus der Scheide und hielt es sich senkrecht vor das Gesicht. Auch das Heft trug dasselbe Muster aus Runen und Blättern, während die Klinge glatt und unverziert war – bis auf eine Reihe von Worten, die sich über die gesamte Länge erstreckte.
Tessa beugte sich vor und las die Inschrift auf der Klinge:
Ich bin Cortana, vom selben Stahl und Härtegrad wie Joyeuse und Durendal.
»Joyeuse war das Schwert von Karl dem Großen«, erklärte Will. Seine Stimme klang noch immer steif – was Tessa inzwischen zu deuten wusste: Er versuchte mit aller Macht, jede Emotion zu unterdrücken. »Durendal war Rolands Schwert. Und dieses Schwert hier ist … es ist von legendärer Herkunft.«
»Geschmiedet von Wayland dem Schmied, dem ersten Waffenmeister der Nephilim. Es trägt eine Feder von der Schwinge des Erzengels in seinem Heft«, fügte Elias hinzu. »Das Schwert befindet sich seit Jahrhunderten im Besitz der Familie Carstairs. Ich hatte von Jems Vater den Auftrag, es ihm zu seinem achtzehnten Geburtstag zu überreichen. Aber die Brüder der Stille dürfen keine Geschenke annehmen.« Er schaute Will fest in die Augen. »Du warst sein Parabatai . Du sollst es haben.«
Mit einem Ruck schob Will das Schwert zurück in die Scheide. »Ich kann es nicht annehmen. Ich will es nicht annehmen.«
»Aber das musst du«, protestierte Elias, überrascht und bestürzt. »Du warst sein Parabatai und er hat dich geliebt …«
Will streckte Elias Carstairs das Schwert mit dem Heft voran entgegen. Nach einem Moment nahm Elias die Waffe an sich und Will machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Menge.
Verwirrt schaute Elias ihm nach. »Es lag nicht in meiner Absicht, ihn zu beleidigen.«
»Sie haben von Jem in der Vergangenheit gesprochen«, sagte Tessa. »Jem mag zwar nicht mehr bei uns sein, aber er ist auch nicht tot. Will … kann den Gedanken nicht ertragen, dass man Jem als vergessen und verloren betrachtet.«
»Ich hatte nicht vor, ihn zu vergessen«, erklärte Elias. »Ich wollte damit lediglich sagen, dass Stille Brüder nicht dieselben Gefühle haben wie wir. Sie empfinden anders. Und wenn sie lieben …«
»Jem liebt Will noch immer«, wandte Tessa ein. »Ob er nun ein Bruder der Stille ist oder nicht. Manche Dinge kann auch die Magie nicht zerstören, weil sie in sich magisch sind. Sie haben Jem und Will nie zusammen erlebt, aber ich schon.«
»Ich wollte ihm nur Cortana überreichen«, sagte Elias. »Da ich es James nicht geben kann, dachte ich, sein Parabatai sollte es bekommen.«
»Sie haben es gut gemeint«, beschwichtigte Tessa ihn. »Aber, bitte verzeihen Sie mir meine indiskrete Frage, Mr Carstairs … Haben Sie denn nicht vor, eines Tages selbst eine Familie zu gründen und Kinder zu haben?«
Mit großen Augen schaute er sie an. »Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht …«
Tessa betrachtete die schimmernde Waffe und dann den Mann, der sie in den Händen hielt. In seinen Zügen konnte sie Spuren von Jem erkennen – als würde sie das Spiegelbild eines geliebten Menschen auf einer gekräuselten Wasseroberfläche sehen. Diese Liebe, die nicht vergessen, sondern gegenwärtig war, verlieh ihrer Erwiderung einen sanften Ton: »Wenn Sie sich nicht sicher sind, dann sollten Sie das Schwert behalten. Bewahren Sie es für Ihre eigenen Nachkommen auf. Will würde das auf jeden Fall so wollen. Er braucht kein Schwert, das ihn an Jem erinnert – ganz gleich, von welch nobler Herkunft diese Waffe auch sein mag.«
Auf der Treppe vor dem Institut war es kalt. Trotzdem stand Will ohne Hut und Mantel auf der obersten Stufe und schaute hinaus in die frostige Nacht. Der Wind wirbelte ihm Schneeflocken ins Gesicht und auf die bloßen Hände – und wie so oft konnte Will Jems Stimme in seinem Kopf hören, die ihn ermahnte, sich nicht lächerlich zu machen und wieder hineinzugehen, bevor er sich noch eine Erkältung holte.
Der Winter war für Will schon immer die reinste Jahreszeit gewesen: Selbst der Rauch und Schmutz Londons schienen dann von der
Kälte gefroren und irgendwie sauberer. An diesem Morgen hatte er die Eisschicht auf seinem Waschkrug durchbrochen, dann das eisige Wasser in die Schüssel gegossen und sich ins Gesicht gespritzt. Zitternd hatte er sich im Spiegel betrachtet, seine feuchten Haare, die sein Gesicht mit schwarzen Strähnen rahmten. Der erste Weihnachtsmorgen ohne
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