Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
ruhte auf Wills Gesicht, beständig und silbern im flackernden Schein des Kaminfeuers. »Ich könnte dich niemals hassen, William«, sagte er schließlich.
Wills Magen ballte sich zusammen, als er in seiner Erinnerung nun ein anderes Gesicht sah, mit ruhigen blaugrauen Augen, die zu ihm hochschauten. Ich habe es versucht, Will. Aber ich konnte dich einfach nicht hassen, hatte sie ihm mitgeteilt. In dem Moment wurde ihm schmerzhaft bewusst, dass er Jem nicht »die ganze Wahrheit« gesagt hatte. Da war noch mehr. Seine Liebe zu Tessa. Doch diese Last durfte er Jem nicht aufbürden – er musste sie selbst tragen und unter allen Umständen verbergen, damit Jem glücklich sein konnte.
»Ich verdiene es, dass du mich hasst«, hatte er sich mit brechender Stimme zu Jem umgewandt. »Ich habe dich in große Gefahr gebracht. Schließlich war ich davon überzeugt, ich sei verflucht und jeder, der mich liebt, müsste sterben. Ich habe zugelassen, dass du mir ans Herz gewachsen und zu einem Bruder geworden bist – und habe dich damit in Todesgefahr gebracht …«
»Es hat nie eine Todesgefahr bestanden.«
»Aber ich habe fest daran geglaubt. Wenn ich dir einen Revolver an den Kopf halten und abdrücken würde, James, würde es dann wirklich eine Rolle spielen, dass ich vielleicht nicht wusste, dass sich in der Trommel keine Kugeln befinden?«
Jem sah ihn einen Moment mit großen Augen an und lachte dann leise. »Hast du ernsthaft geglaubt, ich hätte nicht gewusst, dass du ein Geheimnis mit dir herumträgst?«, erwiderte er. »Hast du gedacht, ich hätte mich mit geschlossenen Augen auf unsere Freundschaft eingelassen? Ich wusste zwar nicht, welche Bürde genau du mit dir herumschleppst, aber ich wusste, dass irgendetwas dich belastete.« Er stand auf und fuhr fort: »Mir war klar, dass du dich selbst für ein Gift gehalten hast, ein Gift für alle um dich herum. Ich wusste, du hast geglaubt, dass dich irgendeine zerstörerische Kraft umgibt, die mich zugrunde richten würde. Daher beschloss ich, dir zu zeigen, dass ich nicht so leicht zusammenbrechen würde … dass Liebe nicht so zerbrechlich ist. Ist mir das nicht gelungen?«
Statt einer Antwort zuckte Will nur hilflos die Achseln. Fast wünschte er, dass Jem wütend auf ihn wäre. Das hätte die Situation irgendwie vereinfacht. Denn nie zuvor hatte er sich so beschämt gefühlt wie angesichts Jems unerschütterlicher Freundschaft. Unwillkürlich musste er an Miltons Satan denken: Beschämt stand Satan da und fühlte recht, /Wie hehr die Tugend und wie liebenswürdig sie in Gestalt erscheint. »Du hast mir das Leben gerettet«, sagte Will.
Ein Lächeln breitete sich auf Jems Gesicht aus, so leuchtend wie der Sonnenaufgang über der Themse. »Mehr habe ich nie gewollt.«
»Will?«
Eine leise Stimme riss Will aus seinen Gedanken – Tessa, die auf der gegenüberliegenden Polsterbank saß. Im schwachen Licht der Kutsche schienen ihre großen Augen grau wie der Regen, der die Scheiben hinunterlief.
»Woran denkst du gerade?«, fragte sie.
Angestrengt riss er sich aus seinen Erinnerungen und heftete seinen Blick auf ihr Gesicht. Tessas Gesicht. Sie trug keinen Hut und die Kapuze ihres Brokatumhangs war nach hinten gerutscht. Ihr Gesicht – breiter an den Wangenknochen, leicht spitz zulaufendes Kinn – wirkte bleich. Nie zuvor hatte er ein Antlitz gesehen, das so ausdrucksstark war: Jedes Lächeln ging ihm tief ins Herz, wie ein Blitz in einen mächtigen Baumstamm. Und das Gleiche galt für jede bekümmerte Miene. Im Moment betrachtete sie ihn mit einem Ausdruck wehmütiger Sorge, der ihm das Herz wärmte. »An Jem«, erklärte er vollkommen ehrlich. »Ich habe gerade daran gedacht, wie er reagiert hat, als ich ihm von Marbas’ Fluch erzählt habe.«
»Er war deswegen nur traurig«, beteuerte Tessa sofort. »Das hat es mir selbst gesagt.«
»Traurig, aber nicht mitleidig«, sagte Will. »Jem hat mir immer genau das gegeben, was ich gerade brauchte, und auch auf die genau richtige Art und Weise – sogar wenn nicht einmal ich selbst wusste, was mir fehlte. Alle Parabatai sind einander in aufrichtiger Liebe zugetan. Das müssen wir auch sein, um einander so viel von uns selbst geben zu können; erst dadurch gewinnen wir zusätzliche Kraft. Aber mit Jem ist das noch etwas anderes. So viele Jahre lang habe ich ihn lebend gebraucht…lebend an meiner Seite, und er hat mich wiederum am Leben erhalten. Ich habe immer gedacht, er würde vielleicht nichts davon ahnen, aber
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