Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
Fen in meinem Blut, das jede Faser meines Körpers vergiftet, könnte ich die Runen nicht überleben, mit denen sich die Brüder versehen. Ich müsste die Arznei so lange absetzen, bis auch der letzte Rest der Substanz aus meinem Blutkreislauf verschwunden ist – und das würde mich sehr wahrscheinlich das Leben kosten.« Offenbar hatte er etwas in Tessas Miene gesehen, denn er fuhr mit sanfterer Stimme fort: »Darüber hinaus führen die Stillen Brüder nicht gerade ein erstrebenswertes Leben…nur Schatten und Dunkelheit, Stille und … keine Musik.« Er schluckte. »Und außerdem möchte ich gar nicht ewig leben.«
»Ich werde möglicherweise ewig leben«, sagte Tessa. Das ungeheure Ausmaß dieser Tatsache war etwas, das sie noch immer nicht ganz fassen konnte. Die Vorstellung, dass das eigene Leben niemals enden würde, war genauso schwer zu begreifen wie der Gedanke, dass es eines Tages endete.
»Ich weiß«, sagte Jem. »Und es tut mir leid, denn ich denke, das ist eine Bürde, die niemand tragen sollte. Du weißt ja, dass ich fest an eine Wiedergeburt glaube, Tessa. Ich werde zurückkehren, wenn auch nicht unbedingt in dieser Gestalt. Seelen, die einander lieben, werden auch im nächsten Leben zueinander hingezogen. Ich werde Will wiedersehen, meine Eltern, meine Onkel, Charlotte und Henry …«
»Aber du wirst mich nicht wiedersehen.« Dieser Gedanke kam ihr nicht zum ersten Mal, doch bisher hatte sie ihn immer rasch beiseitegeschoben. Wenn ich unsterblich bin, dann habe ich nur dieses eine Leben. Ich werde nicht am ewigen Kreislauf des Lebens teilnehmen, so wie du, James. Ich werde dich nicht im Himmel wiedersehen oder an den Ufern des großen Flusses oder wo auch immer dein nächstes Leben stattfindet.
»Dafür sehe ich dich jetzt.« Jem streckte den Arm aus und legte ihr die Hand an die Wange, während seine klaren silbergrauen Augen Tessas Blick suchten.
»Und ich sehe dich«, wisperte sie, worauf Jem ermattet lächelte und die Augen schloss. Tessa legte ihre Hand auf seine, sodass ihre Wange in seiner Handfläche ruhte. So saß sie schweigend da und spürte Jems Finger kühl auf ihrer Haut, bis sein Atem langsamer ging und seine Hand erschlaffte; er war wieder eingeschlafen. Mit einem wehmütigen Lächeln nahm Tessa seine Hand herunter und legte sie behutsam auf das Bett.
In dem Moment wurde die Tür geöffnet. Tessa drehte sich in ihrem Sessel um und entdeckte Will, der im Türrahmen stand, noch in Mantel und Hut. Ein Blick auf seine angespannte, verstörte Miene genügte, um sie sofort auf die Beine zu bringen und Will hinaus in den Flur zu folgen.
Will hastete bereits durch den Korridor, getrieben wie ein Mann, dem der Teufel auf den Fersen war. Leise schloss Tessa Jems Zimmertür und eilte Will nach. »Was hast du, Will? Was ist passiert?«
»Ich komme gerade aus dem East End zurück«, sagte Will. Ein Schmerz schwang in seiner Stimme mit, wie Tessa ihn seit ihrem Gespräch im Salon nicht mehr gehört hatte, als sie ihm von ihrer Verlobung mit Jem erzählt hatte. »Ich bin losgezogen, um noch mehr Yin Fen zu besorgen. Aber es gibt keins mehr.«
Tessa hätte beinahe das Gleichgewicht verloren, als sie die Treppe erreichten. »Was meinst du damit ›Es gibt keins mehr‹? Jem hat doch noch einen Vorrat, oder etwa nicht?«
Will drehte sich zu ihr um und stieg rückwärts die Stufen hinunter. »Komplett aufgebraucht«, erklärte er knapp. »Er wollte nicht, dass du davon erfährst, aber das lässt sich jetzt nicht länger verbergen. Es ist alles aufgebraucht und ich kann nirgends Nachschub auftreiben. Ich habe mich immer darum gekümmert und kenne alle Lieferanten und Händler. Aber entweder waren sie wie vom Erdboden verschluckt oder standen mit leeren Händen da. Ich bin zuerst zu diesem Lokal … dieser Drogenhöhle gegangen, wo ihr beide, du und Jem, mich gefunden habt. Aber dort hatte man nicht ein Gramm Yin Fen.«
»Was ist mit anderen Lokalen …?«
»Ich bin überall gewesen«, erwiderte Will und drehte sich wieder um. Gemeinsam betraten sie den Flur im ersten Geschoss des Instituts, wo sich die Bibliothek und der Salon befanden. Beide Türen standen sperrangelweit auf und gelbliches Licht ergoss sich in den Flur. »Überall. In der letzten Drogenhöhle hat mir einer der Händler erzählt, dass sämtliche Yin-Fen -Vorräte während der vergangenen Wochen systematisch aufgekauft wurden. Es ist nichts mehr übrig.«
»Aber Jem …«, hob Tessa an, während die Bedeutung von Wills
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