Club Kalaschnikow
verursachten den Schauspielern Zahnschmerzen. Nur Litwinenko war ehrlich bemüht, aus dem stumpfsinnigen Sujet noch etwas herauszuholen, zumindest wollte er den Figuren, die im Drehbuch mehr Ähnlichkeit mit Robotern und Zombies hatten als mit lebendigen Menschen, etwas mehr Wärme und Glaubwürdigkeit geben.
»Wassja, wozu regst du dich so auf?« Nikolai Swanzew klopfte dem Regisseur herablassend auf die schmächtige Schulter. »Wir drehen hier kein unsterbliches Meisterwerk.«
»Ich will einen anständigen Film machen«, knurrte Litwinenko.
»Hör auf«, Swanzew verzog das Gesicht, »das Drehbuch ist Scheiße, und die Sponsoren haben ihr Geld abgedrückt, damit du Scheiße drehst, denn der Zuschauer will ausschließlich Scheiße sehen.«
»Wenn du dauernd dieses Wort wiederholst, wirst du bald aus dem Mund stinken«, bemerkte Margarita Krestowskaja träge.
Sie drückte ihre Zigarette aus, reckte sich ausgiebig und schüttelte ihre üppige kupferrote Mähne.
»Von der Leinwand herunter stinkt es nicht.« Swanzew schaute auf seine Uhr. »Also, Kinder, arbeiten wir heute noch oder was?«
»Gestank läßt sich nicht vertreiben, er überwindet alle Hindernisse. Das zum einen. Außerdem können wir nicht weiterarbeiten, weil Wassja mit meinem Gesicht nicht zufrieden ist«, meinte Margarita gleichmütig. »Zu wenig Gefüüühl.«
»Zu wenig Gedanken«, korrigierte sie der Regisseur, »duspielst eine hirnlose Puppe, und deshalb fühlt man nicht mit dir, man langweilt sich mit dir. Du mußt nicht nur schlau, sondern auch klug sein. Begreifst du den Unterschied?«
»Wassja, hast du in der letzten Zeit mal ins Drehbuch gesehen? Hast du überhaupt mal einen Roman über Frol bis zu Ende gelesen? Gehst du manchmal durch die Stadt oder fährst mit der Metro?« Margarita seufzte müde auf. »Siehst du da Gesichter, auf denen auch nur der Hauch eines Gedankens ist? Schau dir mal die Visagen in der U-Bahn oder im Bus an, schau sie dir genau an und denk daran: das sind sie, unsere kostbaren Zuschauer. Übrigens spiele ich ein ganz normales Mädchen unserer Zeit, clever, taff und mit gehörigem Biß. Ihr ist alles schnurz, sie geht über jeden hinweg und tritt sich danach die Füße ab. Ira, die Nutte, die Banditenmatratze und Bullenspionin. Nicht mehr und nicht weniger, kapiert? Wen willst du aus ihr machen? Sofja Kowalewskaja? Blaise Pascal im Minirock?« Margarita schrie beinahe.
Sie hatte gar nicht gemerkt, wie sie in Fahrt kam. Es ärgerte sie, daß sie diese primitive Szene aus einem idiotischen Groschenroman nun schon fast drei Stunden lang wiederholten und eine Einstellung nach der anderen drehten.
»Wer hat Gleb Kalaschnikow ermordet?« brüllte Wassja plötzlich aus heiterem Himmel. »Denk darüber nach! Kapiert? Liebst du deinen Mann? Sein einziger Sohn ist ermordet worden!«
Über Margaritas schönes Gesicht huschte ein Schatten. Im Keller herrschte eine unangenehme Stille. Alle schauten vorwurfsvoll auf Wassja. In Margaritas Familie hatte sich eine wirkliche Tragödie ereignet. Sie jetzt daran zu erinnern, nur damit sie den trivialen Pfusch, den sie hier drehten, mit echten Gefühlen würzte – das war unpassend, taktlos, geradezu blasphemisch.
Gleb Kalaschnikow war immerhin ein naher Angehöriger von Margarita. »Stiefsohn« klang zwar etwas eigenartig, wenn man bedachte, daß die Stiefmutter neun Jahre jünger war als der Sohn. Aber Familie ist Familie.
»Margarita, nimm’s ihm nicht übel.« Swanzew unterbrach die ungemütliche Pause. »Als ich klein war, habe ich bei Goworow in den ›Steinwiesen‹ mitgespielt. Damit ich in einer Szene in Tränen ausbrach, hat er einen lebendigen Papagei gepackt und ihm vor meinen Augen den Hals umgedreht. Du siehst, Wassja ist nicht total meschugge. Es gibt Schlimmeres. Wann ist eigentlich die Beerdigung?«
»Am Montag«, erwiderte Margarita leise, »um acht ist eine Trauerfeier im Casino, um zehn die Totenmesse in der Pimen-Gedächtniskirche.«
»Gibt es schon irgendeinen Hinweis auf den Täter?«
»Ich weiß nicht.« Margarita wandte sich ab – das Thema war ihr sichtlich unangenehm.
***
Im Casino »Sternenregen« waren die Spieltische mit schwarzem Krepp bedeckt. Das Restaurant war geschlossen, selbst die Tischdecken hatte man weggenommen. Ein schwarz eingerahmtes Porträt von Gleb Kalaschnikow hing an prominenter Stelle – neben der Bühne, auf der gewöhnlich die Striptease-Tänzerinnen auftraten. Unter dem Porträt standen riesige Blumenkörbe.
Ein
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