Club Kalaschnikow
reg dich nicht auf. Sieh nur zu, daß es ein Junge wird.«
Ihr Bauch ging auf wie Hefeteig. Kein einziger Rock ließ sich mehr zuknöpfen, wie sehr sie die Knöpfe auch versetzte. Von der übelriechenden gekochten und gebratenen Wurst wurde ihr schlecht, sie mußte sogar brechen. Sie hatte Appetit auf frisches Obst und auf Quark vom Markt. Aber das kostete ein Heidengeld! Statt Obst aß Irina in der Kantine des Instituts Vitaminsalat aus gelblichem süßem Kohl und kaute mit Widerwillen auf dem sauren, trockenen Quark aus der Fertigpackung herum.
Je dicker Irinas Bauch wurde, desto häufiger und hartnäckiger sprach Jewgeni von seinem Sohn. Auch Irina konnte sich kein Mädchen mehr vorstellen.
Ihre alte Nachbarin in der Gemeinschaftswohnung hatte alle möglichen volkstümlichen Vorzeichen parat. Wenn der Bauch wie eine Gurke vorsteht, wird es ein Junge. Bei Irina stand der Bauch wie eine Gurke vor, also mußte es ein Junge sein. Zeig mal deine Hände! Genau, du zeigst sie mit dem Handrücken nach oben – ein Junge.
Ihr schwebte ein rosigweißer Säugling mit dicken Bäckchen und goldenen Locken vor, im niedlichen hellblauen Steckkissen mit Rüschen. Ein solches Kissen wollten ihr die Kollegen zur Geburt schenken. Vielleicht hatten sie es sogar schon gekauft, dazu ein blaues Häubchen und blaue Seidenbänder.
Die Geburt war lang und schwer. Eine ganze Brigade vonÄrzten und Schwestern war hektisch um sie bemüht, das Kind blieb stecken und wollte nicht herauskommen, Atemstillstand drohte, man schrie Irina an, sie solle sich mehr anstrengen, sonst würde das Kind keine Luft bekommen und sterben, aber sie begriff nichts, spürte nichts außer dem schrecklichen, unerträglichen Schmerz und wollte nur eins, daß dieser Schmerz aufhörte. Egal wie oder wodurch, nur aufhören sollte er.
»Nun hilf doch mit, wenigstens ein bißchen! Du verlierst das Kind! Hörst du mich? Gib dir Mühe!« schrie der Arzt ihr direkt ins Ohr.
»Aah! Ich ka-ann nicht!« schrie Irina zurück.
»Gut. Es reicht, wir nehmen die Zange«, sagte der Arzt, »der Puls ist hundertsechzig.«
In diesem Augenblick schlüpfte das Kind ganz von selbst heraus, als hätte es sich besonnen oder einen Schreck bekommen.
Irina begriff zunächst gar nichts. Der Schmerz war vorbei, hatte nachgelassen. Sie konnte es kaum fassen. Dann hörte sie wie durch Watte:
»Ein Mädchen.«
Die meinen nicht mich, dachte sie, das ist jemand anders.
»Guck mal, wen du geboren hast.«
Man hielt ihr ein preiselbeerlila Geschöpf hin, naß, runzlig, widerwärtig brüllend, bedeckt mit einer weißlichen Schmiere. Es hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem rosigweißen Bübchen mit dicken Backen und Goldlöckchen.
»Na, nun guck schon her und sag selber, was es ist! Na?« wiederholte die Schwester mit freudigem Lächeln.
»Niemand«, seufzte Irina schwer auf und drehte sich weg.
Es war ein heller Aprilmorgen des Jahres 1974. Das kleine Mädchen bekam den Namen Margarita.
***
»Laß die Augen funkeln! Dein Gesicht muß es zeigen, dein Gesicht! Du liebst ihn, aber du mußt ihn täuschen, ihn hintergehen. Das ist doch ein ganzer Berg von Gedanken und Gefühlen! Du bist doch keine hirnlose Puppe, keine banale Schlampe, sondern eine Agentin. Nein, stopp. So geht das wirklich nicht!«
Der Regisseur klatschte laut in die Hände. Der Kameramann schaltete seine Kamera aus. Margarita warf sich fröstelnd einen Bademantel über und zündete sich eine Zigarette an. Es war kalt. Die Dreharbeiten fanden in einem feuchten häßlichen Keller statt, der mit irgendwelchen Rohren, Kisten und verrosteten Armaturteilen vollgestopft war. Um noch mehr Realismus zu erzielen, hatte man die Wände stellenweise mit Glyzerin betröpfelt, was widerliche nasse Streifen ergeben hatte, an denen die Kamera lange und mit Genuß entlangfuhr. Vor diesem Hintergrund aus Feuchtigkeit und Schmutz sah die schöne hellhäutige Margarita Krestowskaja – fast nackt, in zerrissener Spitzenwäsche und mit Handschellen an ein Rohr gefesselt – sehr beeindruckend aus.
Sie drehten gerade eine der Schlüsselszenen eines Thrillers über die russische und kaukasische Mafia. Die Heldin, die Edelnutte Irina Solowjowa, wird zugleich von der kaukasischen Mafia und von der Miliz angeworben. Sie erfüllt einen verantwortungsvollen und riskanten Auftrag und wird die Geliebte des jungen Privatdetektivs Frol Dobrezow. Frol ist in diesem Sumpf von Mafia und Miliz der einzige anständige Mensch und steht deshalb
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