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Club Kalaschnikow

Club Kalaschnikow

Titel: Club Kalaschnikow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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auf! Ruf 01 an!« schrie Irina, wickelte Margarita mit zitternden Händen in eine Decke und angelte gleichzeitig mit dem Fuß nach ihrem Pantoffel.
    Das Zimmer der alten Nachbarin stand in hellen Flammen. Das Telefon, das einzige für die ganze Wohnung, hing im Flur. Jewgeni stürzte hustend durch den Rauch, schrie die Adresse in den Hörer und lief zurück ins Zimmer.
    Irina hastete mit dem Kind auf dem Arm hin und her, trug Sachen zusammen, stopfte sie in Koffer und Bündel. Das Zimmer füllte sich mit Rauch. Der neue Wintermantel mit dem Ziegenfellkragen paßte nicht in den Koffer. Irina hatte nur eine Hand frei und konnte sich nicht entschließen, das Kind hinzulegen. Die dünne Wand knirschte und knackte, die Tapeten warfen schreckliche Blasen.
    »Hör auf!« Jewgeni riß ihr das Kind aus den Armen. »Raus! Wir ersticken! Wir verbrennen!«
    Barfuß stand sie auf dem kalten Asphalt im Hof, zwischen lauter erschrockenen, nur notdürftig bekleideten Hausbewohnern, sah zu, wie die Feuerwehrleute die bewußtlose Buchhalterin Grigorenko durchs Fenster zogen, in einem riesigen Nachthemd, das sich wie ein weißes Segel blähte, und dachte, auch sie wären vielleicht nicht aufgewacht, hätte Margarita nicht geschrien. Sie wären im Schlaf erstickt.
    Einen Monat lang wohnten die Krestowskis bei Verwandten. Danach bekamen sie außer der Reihe eine separate Zweizimmerwohnung in einem Neubau, nicht am Stadtrand wie die anderen, sondern fast im Zentrum, in der Nähe des Kursker Bahnhofs.
    In der kleinen Küche glänzte ein nagelneuer weißer Plastiktisch, fröhlich karierte Gardinen flatterten im warmen Wind. Auf dem Fensterbrett keimten in alten Milchkartons – die Irina immer noch aufbewahrte – weiche Zwiebeln. Der aufgedunsene gelbliche Teepilz, der früher vor dem Fenster gestanden hatte, wohnte jetzt auf einem Regal neben dem Waschbecken. Auf dem schmalen Fensterbrett hatte das Dreilitergefäß keinen Platz.
    Beim Frühstück schmierte sich Margarita den unappetitlichen, klumpigen Grießbrei über ihr zartes kleines Gesicht,weinte, würgte, verdrehte den Kopf und versuchte, den Brei auszuspucken.
    »Iß, du Biest!« schrie Irina und schielte gleichzeitig zu ihrem Mann hinüber, um zu kontrollieren, wieviel Löffel Zucker er sich in den Tee tat.
    Jewgeni hatte seine Stelle im Institut durch die Personalkürzungen verloren. Er war als Technologe in einer Fabrik untergekommen und kam immer häufiger betrunken nach Hause, manchmal erschien er überhaupt erst gegen Morgen. Dann schwebte der Duft nach fremdem billigem Parfum im Zimmer und fuhr Irina in die Nase. Sie schrie und wedelte den aufdringlichen Geruch von sich weg, als sei es giftiges Kohlenmonoxyd. Jewgeni schrie zurück. Margarita verkroch sich heulend unter den weißen Plastiktisch.
    Man schrieb Juni 1975. Im September wurde Margarita in die Kinderkrippe aufgenommen. Irina begann wieder zu arbeiten, im selben Institut wie früher, als Schriftführerin in der Personalabteilung.
    ***
    »Soll ich die nächste Woche bei dir wohnen?« Shannotschka blickte Katja mit ergebenen, tränenerfüllten Augen an. »Ich habe Angst, dich nachts allein zu lassen.«
    »Danke, Shannotschka.« Katja nahm die Hand von der Ballettstange, setzte sich auf den Boden und begann ihre Füße zu massieren.
    Sie trainierte nach wie vor drei Stunden morgens und eine Stunde abends. Einen Teil der Aufführungen hatte man abgesetzt, Katja wollte in den nächsten zwei Wochen nicht auf der Bühne erscheinen. Sie wollte möglichst wenig unter Menschen sein und auf keinen Fall dort auftauchen, wo sie den Journalisten und der fremden Neugier, die sich als Mitgefühl tarnte, ausgesetzt war.
    Sie übte bis zur Erschöpfung am Boden und an der Stange. Auf Außenstehende mochte das seltsam, fast schon blasphemischwirken. Seit dem Tod ihres Mannes waren gerade zwei Tage vergangen, er war noch nicht unter der Erde, und Katja fuhr fort, als sei nichts gewesen, in tiefen »Plié« in die Hocke zu gehen und die Beine in Arabesken hochzuwerfen, bis sie in Schweiß gebadet war. Aber sie hatte auch nicht vor, die Rolle der untröstlichen Witwe zu spielen. Was in ihrem Innern vor sich ging, war ihre Privatsache.
    Am Abend zuvor waren unerwartet Konstantin Iwanowitsch und Margarita erschienen. Beide hatten sehr erstaunte Gesichter gemacht, als sie Katja im Ballettrikot antrafen.
    »Entschuldigt«, sagte sie, »ich dusche rasch und ziehe mich um. Und dann mache ich uns Kaffee.«
    »Falls du noch nicht fertig bist,

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