Club Kalaschnikow
mußte.
»Ja, Krestowskaja«, sagte der Direktor finster, »geh hinaus und warte im Flur.«
»Solche wie die gehören von der Schule gejagt!« flüsterte die Lehrerin heiser, als sich die Tür hinter dem Mädchen geschlossen hatte. »Alle Hemmungen haben sie verloren! Keinerlei Respekt!«
»Respekt muß man sich verdienen«, sagte der Direktor langsam, »und man darf die Kinder nicht derart anschreien. Ja, das Mädchen benimmt sich provozierend, aber Sie selbst provozieren und demütigen sie auch. Es ist ein schwieriges Alter, das darf man nicht vergessen. Übrigens, wie lange haben Sie noch bis zur Rente?«
Die Lehrerin wurde wieder rot und dann blaß. Sie war schon längst überfällig – aber konnte man von der Rente etwa leben? Mein Gott, was war das nur für eine Zeit!
Tatsächlich war eine sonderbare, wirre Zeit angebrochen. Man schrieb das Jahr 1988. Margarita Krestowskaja und Olga Guskowa waren vierzehn Jahre alt. Seit dem ersten Schuljahr waren sie Banknachbarinnen.
***
Nodar Dotoschwili erschien trotz Vorladung nicht bei der Staatsanwaltschaft. Unter keiner seiner Telefonnummern meldete er sich. Seine Wohnung war leer.
»Der bringt sich noch selber ins Grab!« Der Untersuchungsführer Jewgeni Tschernow seufzte tief und sah auf seine Uhr. In zehn Minuten sollte die Zeugin Rykowa, Jelena Fjodorowna, besser bekannt als Striptease-Tänzerin Ljalja, zum Verhör erscheinen.
»Na, was ist, schreiben wir den Fürsten zur Fahndung aus?« fragte Major Kusmenko. »Oder warten wir noch?«
»Wir warten besser noch. Mal hören, was Ljalja zu sagen hat.«
Ljalja erschien auf die Minute pünktlich. Sie trug ein klassisches Kostüm, bestehend aus einem geradegeschnittenen knielangen Rock und einem Blazer. Dezentes Make-up, die Haare zurückgekämmt und zu einem unauffälligen Pferdeschwanz zusammengefaßt. Eine seriöse Geschäftsfrau, keinerlei Extravaganzen oder Koketterie.
»Wann haben Sie Nodar Dotoschwili das letzte Mal gesehen?« fragte Tschernow.
»Vor zwei Tagen«, erwiderte Ljalja lakonisch und ehrlich.
»Wo und unter welchen Umständen?«
»Bei mir zu Hause.«
»War er die ganze Nacht bei Ihnen?«
»Mit Sicherheit kann ich das nicht sagen. Ich habe sehr fest geschlafen.«
Ljalja war nicht im mindesten aufgeregt. Sie beantwortete die Fragen ruhig und sicher wie eine gut präparierte Musterschülerin im Examen. Allerdings war sie bemüht, möglichst wenig zu sagen. Sie hatte Angst, sich zu verplappern.
»Um wieviel Uhr sind Sie schlafen gegangen?«
»Etwa um elf.«
»War Dotoschwili bei Ihnen?«
»Ja.«
»Und am nächsten Morgen?«
»Um halb zehn bin ich aufgewacht. Da war Nodar nicht mehr da.«
»Das heißt, Sie haben ihn um elf Uhr abends zuletzt gesehen?«
»Ja.«
»Und Sie können sich nicht dafür verbürgen, daß er die ganze Nacht in Ihrer Wohnung geblieben ist?«
»Nein.«
»Dotoschwili hat im Casino gespielt?«
»Ja.«
»Und hatte er Glück im Spiel?«
»Tja, ich weiß nicht, eher wie alle anderen auch, mal mehr, mal weniger.«
»Hat er größere Summen verloren?«
»Ich weiß nicht. Mir hat er darüber keine Rechenschaft abgelegt.«
»Na schön«, sagte Tschernow, »Sie kennen Dotoschwili ja recht gut. Was meinen Sie, war er ein Spielertyp?«
»Nicht mehr als andere«, erwiderte Ljalja und blickte Tschernow ruhig in die Augen.
»Was soll das heißen? Es gibt Leute, die spielen überhaupt nie, und es gibt andere, die können ohne das Spiel nicht leben. Haben Sie Dostojewskis Roman ›Der Spieler‹ gelesen?«
»Dostojewski?« fragte Ljalja erstaunt. »Was hat Dostojewski damit zu tun?«
»Eigentlich nichts. Er kam mir nur gerade in den Kopf …« sagte Tschernow und lächelte. »Sie wissen also nicht, welche Summen Ihr Freund Nodar Dotoschwili im Casino verspielt hat?«
»Ich arbeite ja nicht im Spielsaal.«
Nachdem die Zeugin gegangen war, lehnte sich Tschernow in seinem Stuhl zurück und fixierte Major Kusmenko. Iwan Kusmenko malte mit einem Filzstift konzentriert Muster auf seine Zigarettenschachtel.
»Das heißt, man will dem Fürsten den Mord in die Schuhe schieben«, sagte er nachdenklich, ohne den Blick von den schwarzen Kringeln und Häkchen zu heben, mit denen sich die weiße »Kent«-Schachtel bedeckte. »Sie wollen uns Dotoschwili ans Messer liefern und Täuberich hochgehen lassen. Hör mal, vielleicht hat Lunjok ja selber den Auftrag gegeben, Kalaschnikow zu erledigen? Angenommen, unser Nachtclubbesitzer hat seinem Paten einenTeil seiner Einkünfte
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