Club Kalaschnikow
große Geld und der große Ruhm waren immer ganz nah, fast greifbar gewesen. Aber Sweta Petrowa hatte es trotzdem nicht zu fassen bekommen.
Ihre Mutter war von Beruf Friseurmeisterin gewesen, sie hatte den schönsten und berühmtesten Frauen der Sowjetunion das Haar frisiert. Einen Vater gab es nicht.
Als kleines Mädchen hatte Sweta zu Weihnachten im »Haus des Films« mit krankhafter Aufmerksamkeit auf das Geflüster der Platzanweiserinnen und Garderobieren gelauscht: Die da, das ist die Tochter von dem und dem, und das ist der Sohn von dem und dem. Sie befand sich gewissermaßen im Reigen der Töchter und Söhne der berühmtesten Schauspieler, Regisseure, Drehbuchautoren und Schriftsteller.
Die anderen Kinder akzeptierten sie ohne weiteres als eine der ihren. Von klein auf hatten sie ihre eigene Clique und durften schon früh auf die Partys der Erwachsenen. Alle hatten große Wohnungen mit eigenen Kinderzimmern, für die Kinder wurde ein eigener Tisch gedeckt. Es war eine goldene Zeit für Sweta.
Die Mutter nahm sie auf alle Feiern, Partys und Geburtstage mit. Das kleine Mädchen liebte es, mit der Mama zusammen Besuche zu machen. Jedesmal war sie ganz aufgeregt, erwartete, daß alles ganz wunderbar sein und sie im Mittelpunkt stehen würde, daß alle über ihre Witze lachen und sagen würden: Dieses Mädchen ist das hübscheste und klügste. Alle würden ihre Freundschaft suchen.
Sie wartete mit fünf Jahren darauf, sie wartete mit zehn Jahren darauf. Aber niemand schenkte ihr besondere Beachtung. Sie war gekränkt, versteckte sich in der Ecke und saß dort aufgeplustert und beleidigt, mit dem Gesicht zur Wand. Hin und wieder schaute einer der Erwachsenen herein.
»Habt ihr denn Sweta ganz vergessen?«
»Nein, wir haben sie nicht vergessen«, erwiderte dann eines der Kinder.
Man bestürmte sie, redete ihr gut zu, aber sie spielte weiter die Beleidigte. Es gefiel ihr, wenn man ihr zuredete. Aber die anderen waren dieses Spielchen schnell leid, und man vergaß sie wieder.
Die Kinder wurden größer. Sie trafen sich nun schon getrennt von den Erwachsenen, hatten ihre eigenen Partys. Sweta wurde immer eingeladen, und selbst wenn man einmal vergaß, sie eigens anzurufen, so verstand es sich doch von selbst, daß sie kommen konnte. Sie gehörte schließlich dazu, man kannte sie seit frühester Kindheit. Es freute auch alle, wenn sie kam – aber nicht mehr als bei anderen Mädchen und Jungen. Ihr aber kam es immer so vor, als ob man sich nicht genug freue, als ob ihr Geschenk nichtgefiele, man ihre neue Frisur, ihr neues Kleid nicht bemerke. Absichtlich, um sie zu kränken. Natürlich, sie war ja anders als die anderen. Hinter dem freundlichen Lächeln schien ihr ein versteckter Hohn zu liegen. Wenn alle lachten und sie nicht begriff, worüber, dann war sie felsenfest überzeugt – man lachte über sie. Wenn sie im Lärm des allgemeinen Gesprächs bei einer fröhlichen Fete versuchte, sich mit einem Witz dazwischenzudrängen, eine lustige Geschichte zu erzählen oder sich an einer Diskussion zu beteiligen und man ihr nicht zuhörte oder sie unterbrach, dann kochte sie vor Zorn und Gekränktheit und rannte türenschlagend hinaus. Aber sie ging nie ganz weg, sondern wartete auf der Treppe, daß jemand herauskäme und sie überredete zurückzukehren.
Hätte jemand gewagt, ihr zu sagen, daß diese krankhafte Empfindlichkeit, die in der Pubertät bis ins Maßlose wuchs, in Wirklichkeit nichts anderes war als Neid, wäre sie wahrscheinlich vor Entrüstung in die Luft gegangen. Neid – auf wen? Ihre Mutter verdiente nicht weniger Geld als die Eltern der anderen. Sie selber war hundertmal schöner, klüger und begabter als alle zusammengenommen. Was waren die denn ohne ihre berühmten Mütter und Väter? Nichts!
Eigentlich war sie nicht böse. Sie machte gern Geschenke und war niemals kleinlich. Wenn jemand krank war, besuchte sie ihn, und nie kam sie mit leeren Händen. Wenn jemand weinte, tröstete sie ihn. Sie hatte Mitleid, wenn es jemandem schlecht ging. Aber sie konnte es nicht ertragen, wenn es jemandem gut ging. Ein Lob an eine fremde Adresse klang für sie wie eine persönliche Beleidigung, besonders, wenn das Lob einem Mädchen galt.
In ihrer kleinen Clique gab es nur ein paar Mädchen. Sie waren irgendwie anders als die Mädchen, mit denen Sweta zur Schule ging, anders auch als sie selber. Sie hatten so eine gewisse Leichtigkeit, Selbstgewißheit, Zerstreutheit und hochmütige Grazie. Neben ihnen
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