Club Noir - 1
entsprach. Sie war nur schlecht vorbereitet – kannte gerade mal die Namen von Joaquin Worthings Bildern. Für die Bedeutungen und Preise musste sie sich ihrer Notizen bedienen, die sie wohlbehalten in ihrer Tasche bei sich trug.
„Dann kann es ja gleich losgehen. Kommen Sie. Kommen Sie.“ Madame Demier klatschte in die Hände und trieb Jesse wieder aus ihrem kleinen Zimmer hinaus.
Es war der Startschuss für eine äußerst langwierige und anstrengende Präsentation vor einem kritischen Publikum von absoluten Kunstbanausen.
Trotz der ersten schwierigen Führung gewöhnte sich Jesse bald an ihr neues Umfeld. Madame Demier hatte mit den Kunstkennern, die in der Galerie ein und aus gingen, nicht übertrieben. Im Laufe des Tages hatte Jesse kaum die Gelegenheit, sich eine Pause zwischendurch zu gönnen. Bis in die Abendstunden blieb sie auf den Beinen und wiederholte immer und immer wieder die gleichen Worte. Erst kurz vor Schließung kam sie zur Ruhe.
Sie verharrte vor einem der Bilder von Worthing. Der Knotenpunkt der Liebe. Ein ungewöhnliches Gemälde eines Liebespaares. Neugierig betrachtete sie den grotesk dargestellten Mann, wie er den zierlichen Frauenkörper mehr mit seinen Haaren als mit seinen Armen umschlang. Aus irgendeinem Grund musste sie dabei an Andrew denken, diesen unglaublich gut aussehenden Mann, nach dessen Nähe sich alles in ihr sehnte. Unsinn, redete sie sich ein und schüttelte den Kopf.
Als sie plötzlich die Anwesenheit eines anderen hinter sich spürte, zuckte sie zusammen. Die Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf. In ihrer Magengegend begann es zu kribbeln, noch ehe sie sich umdrehte.
Jesse sah ein Feuer in den Augen des Mannes auflodern. Es ging ihr durch Mark und Bein. Sie spürte, wie etwas nach ihrem Körper griff. Es nahm sie gefangen und ließ sie nicht mehr entkommen – aus dem Sog der unbändigen Gefühle. Die entflammte Leidenschaft lähmte sie vollkommen und hinderte sie daran, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Aber das wollte sie auch gar nicht. Sie wollte sich fallen lassen – sich ihm mit Haut und Haaren hingeben. Ganz und gar ihm gehören.
Endlich fühlte sie auch die ersehnte Berührung auf ihrer Haut. Sie schickte ihr einen wohligen Schauder über den Rücken. Ihr Körper bäumte sich zu ihm auf, sie reckte ihr Kinn, damit er sie zärtlich am Hals liebkosen konnte.
Im nächsten Moment erstarrte sie. Sie sah in das lächelnde Gesicht von Andrew, der ihr mit verschränkten Armen gegenüber stand und sie mit seinen Blicken durchbohrte.
„Sind das die Bilder aus England?“
Jesse musste um Fassung ringen. Was war geschehen? Hatte sie etwa gerade mit offenen Augen geträumt?
Plötzlich glaubte sie, erneut eine kühle Hand an ihrer Kehle zu spüren und eine zweite, die sich langsam an den Knöpfen ihrer Bluse zu schaffen machte.
Energisch zwang sie sich zur Ruhe, bemüht darum, die Gedanken an den vergangenen Abend abzuschütteln.
„Ja, das sind sie.“ Mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen sah sie ihn an.
Da stand er in seinem vornehmen schwarzen Anzug und strahlte eine beinahe unnatürliche Überlegenheit aus. Seine halblangen schwarzen Haare fielen ihm locker ins Gesicht und seine Augen waren so tief und dunkel wie ein unergründlicher See.
„Mister …?“
„McCloud“, stellte er sich galant vor. „Aber bitte nennen Sie mich doch Andrew.“
„Andrew.“ Sie konnte nicht verhindern, dass ihr eine leichte Röte in die Wangen schoss. Dieser Mann hatte sie mit Spitzenunterwäsche und zerrissener Bluse in den Armen eines Wildfremden gesehen. Was musste er nur von ihr denken?
„Sie interessieren sich für Kunst?“
„Natürlich.“ Er trat näher an das in Blautönen gehaltene Gemälde direkt vor Jesse. „Sehr sogar. Ich besitze viele Bilder. Originale von Chagall und Franz Marc. Dieses hier hat einen ähnlichen Stil wie Marc.“
„Ja.“ Jesse sah verwirrt von ihm zu dem Gemälde. Sie fragte sich, ob sein Interesse ehrlich oder einfach nur vorgetäuscht war. Seinem Vergleich konnte sie allerdings nicht widersprechen.
„Der Name des Künstlers ist Joaquin Worthing. Er ist noch jung, aber das internationale Interesse an seinen Werken wächst.“
„Ein aufsteigender Stern am Künstlerhimmel.“ Andrew nickte. „Ich habe über ihn gelesen. Schade, dass seinen Bildern hier noch nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird.“ Nun wandte er sich ihr zu und sah sie auffordernd an. „Steht es noch zum Verkauf?“
Sie nickte.
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