Club Noir - 1
anzusehen. Krampfhaft ignorierte sie die flüchtigen Gesten, mit denen er versuchte, sie zu becircen. Ohne weitere Umschweife stand sie schließlich auf und war schon im nächsten Moment an dem Garderobenständer. Es erschien ihr unmöglich, doch Andrew war genau neben ihr und half ihr galant in die Jacke. Er sagte kein Wort, sondern begleitete sie einfach wie ein Schatten hinaus. Die Situation verwirrte sie. Konsequent machte sie sich auf den Weg, hielt allerdings erschrocken innen und wandte sich noch einmal zu dem Restaurant um.
„Ich … Sie … ich meine, wir haben gar nicht bezahlt“, stotterte sie nun vollkommen verlegen.
„Machen Sie sich darüber mal keine Gedanken.“
Seine Hand schloss sich um ihren Arm. Er führte sie schweigend durch die Straßen, bis sie jene Straße erreichten, in der Jesses Hotel lag.
„Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie ein ganz bezauberndes Lächeln haben?“ Diese Worte von ihm kamen vollkommen unerwartet und aus dem Zusammenhang gerissen.
Jesse blieb wie angewurzelt stehen. Sie war viel zu verschüchtert, um ihm nun direkt ins Gesicht zu blicken. „Nein“, hauchte sie nur. Das hatte tatsächlich noch nie jemand zu ihr gesagt. Natürlich hatte sie zeit ihres Lebens die eine oder andere männliche Bekanntschaft gemacht. Zuletzt Nick, bei dem sie anfangs geglaubt hatte, den Richtigen gefunden zu haben. Allerdings stellte sich diese Annahme als absolute Fehlinterpretation heraus. Die große Liebe – der Mann, der genau das hätte sagen sollen – schien bislang so unglaublich fern zu sein.
„Das ist wirklich traurig.“ Er schob eine Hand unter ihr Kinn und brachte sie mit sanftem Druck dazu, ihn doch anzusehen.
„Sie haben ein bezauberndes Lächeln.“
Ohne dass es ihr tatsächlich bewusst wurde, zogen sich ihre Mundwinkel zu den Seiten hoch. Sie strahlte ihn geradezu an. Er erwiderte es mit einem kurzen Auflachen, dann ließ er jedoch abrupt von ihr ab.
Jesse stand dort wie ein begossener Pudel und starrte ihm Löcher in den Rücken. Spielte er mit ihr? Es war ihr peinlich, dass sie auf sein Kompliment wie ein liebeskrankes Huhn reagiert hatte. Womöglich tat er das andauernd – jeder x-beliebigen Frau den Hof zu machen.
Sie biss die Zähne zusammen und zwang ihre Füße wieder vorwärts zu gehen. Er schlenderte lediglich langsam dahin, und so fiel es ihr leicht, ihn einzuholen.
„Sie glauben mir nicht?“, fragte er, ohne sie dabei anzusehen.
Jesse war verwirrt. „Wie meinen Sie das?“
„Sie glauben mir nicht, dass Sie bezaubernd sind, weil es Ihnen nie zuvor gesagt wurde.“
„Lassen Sie das!“ Sie erschrak selbst, wie wütend er sie in diesem Moment machte. Er brachte sie dazu, unhöflich zu werden.
„Ich wollte Sie nicht reizen.“
Darauf erwiderte sie nichts.
Sie erreichten den Eingang des Hotels und Jesse kramte in ihrer Handtasche nach dem Zimmerschlüssel. Ihr entging der auffordernde Blick nicht, den Andrew auf sie gerichtet hielt. Doch sie schwor sich, dass sie in keinem Falle schwach werden und ihn mit hinein bitten würde.
„Danke für den netten Abend“, presste sie mühsam hervor.
Warum konnte er nicht einfach gehen?
„Sie wollen mich also wirklich nach Hause schicken?“
Jesse hielt zögernd inne. Ihre Hand hatte den Schlüssel in der Tasche längst gefunden und umschlossen. Aber der nächste Schritt fiel ihr so unsagbar schwer. Das Verlangen in ihr wuchs unaufhaltsam – seitdem Andrew die Galerie betreten hatte. Im Laufe des Abends war es für sie beinahe unerträglich geworden, ihn auch nur anzusehen. Hin und her gerissen wagte sie kaum zu atmen. Ihr wurde schwindelig. Sie musste sich entscheiden.
„Nein“, kam es wie von selbst über ihre Lippen. Mit großen Augen sah sie zu ihm auf, erschrocken über ihre eigenen Worte. Hatte sie das gerade gesagt? Forderte sie ihn tatsächlich dazu auf, nicht zu gehen, sondern in ihrer Nähe zu bleiben?
„Nein?“
Er trat einen weiteren Schritt auf sie zu. Mit einer Hand stützte er sich nun an der Wand hinter ihr ab. Sie war gefangen. Hilflos ließ sie die Tasche sinken und lehnte sich zurück.
„Nein“, wiederholte sie, „ich meine … doch … Sie sollten besser gehen.“ Mit einem hastigen Nicken wollte sie ihrer Aussage noch mehr Ausdruck verleihen, was ihr allerdings gründlich misslang.
Andrew blickte sie mit einem wissenden Grinsen an. Und plötzlich spürte sie, wie seine freie Hand sanft über ihre Wange und eine Haarsträhne hinter ihr Ohr strich. Ein
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