Coaching - Eine Einfuehrung fuer Praxis und Ausbildung
sich eine ihrer halbtags angestellten Mitarbeiterinnen
nach jahrelangen Problemen mit einem schwer alkoholkranken Mann von diesem getrennt. Das hatte aber zur |91| Folge, dass sie immer pünktlich um 12 Uhr ihren Sohn vom Kindergarten abholen musste. Diese Aufgabe hatte früher ihr Mann
übernommen, der jetzt nach der Trennung in eine andere Stadt gezogen war. Nun setzte für die junge Frau ein zermürbender Prozess
ein. Die Büroleiterin und alle Kolleginnen werteten ihr pünktliches Fortgehen als »Gemeinheit«. »Die lässt uns einfach auf
der Arbeit sitzen und kümmert sich nur um ihr Kind«, war die Überzeugung aller. Sie begannen nun, bei der morgendlichen Kaffeepause
hinter ihrem Rücken zu tuscheln, die Büroleiterin hatte an ihren Schreibarbeiten immer häufiger etwas auszusetzen als an denen
der anderen. Unter Hinweis auf ihre »übertriebene Pünktlichkeit« wurde sie zunehmend zu niederen Arbeiten, wie etwa vermehrtes
Kopieren und das Sortieren von Akten, herangezogen, während zwei Bürogehilfinnen jetzt eine Reihe ihrer Tätigkeiten zu übernehmen
hatten. Die junge Frau versuchte zunächst immer wieder, der Leiterin und den anderen ihre Situation zu erklären, die zumeist
kinderlosen Kolleginnen zuckten nur die Achseln, die Büroleiterin dagegen warf ihr offen »Unkollegialität« vor. Nach einem
halben Jahr entwickelte die Mitarbeiterin eine chronische Magenschleimhautentzündung, musste oft zu Hause bleiben, was die
anderen zum Anlass nahmen, sie nun auch noch als jemand zu stigmatisieren, der »chronisch krank feiert«: »So schön möchte
ich es auch mal haben, nur halbtags arbeiten und so viel erkränkelte Freizeit.« Nach einem weiteren halben Jahr kündigte die
junge Frau entnervt, meldete sich arbeitslos und konnte sich von dem Erlebten nur schwer erholen. Sie wachte noch nach Jahren
immer wieder nachts schweißgebadet auf, weil sie von diesen »Ungeheuern in der Kammer« geträumt hatte.
In diesem Fall hätte Coaching der Abteilungsleiterin oder der gesamten Abteilung in der Auseinandersetzung mit den besonderen
Normen des Systems bestanden. Hier wäre es Aufgabe der Personalabteilung gewesen, einen externen Spezialisten zur Bereinigung
der Situation hinzuzuziehen.
Die besondere Bedeutung der aktuellen Mobbing-Debatte liegt sicher darin, dass in Fällen, wo Menschen psychische oder physische
Beschwerden entwickeln, Ärzte und Psychotherapeuten nun häufiger als bisher nach den Bedingungen am Arbeitsplatz fragen. Im
Prinzip handelt es sich nämlich bei Mobbing um eine längst bekannte Erscheinung, die schon von Kommunikationstherapeuten wie
Berne
(1967) etwa als »Spiel dritten Grades« oder von
Watzlawick
(1974) als »Beziehungseskalation« beschrieben wurde. In Zeiten von Massenarbeitslosigkeit erlangen derartige Phänomene aber
eine neue Dimension; denn nun versuchen manche Betriebe, ihre Mitarbeiter über Mobbing loszuwerden. Wenn man jemanden so lange
drangsaliert, dass er von sich aus kündigt, braucht man nämlich |92| im Allgemeinen keinen Arbeitsgerichtsprozess zu befürchten. So stellt Mobbing heute die vielleicht häufigste Form indirekter
Kündigung dar (
Walter
1993).
1.2 Kollektive Krisen
Bei manchen der bisher beschriebenen Krisenerscheinungen klang schon an, dass sie nicht nur von Einzelnen als Krisen erlebt
werden, sondern dass sie kollektive Krisen darstellen, die im Prinzip auch Kriseninterventionen bei Kollektiven notwendig
machen. Hierbei handelt es sich um Krisen in organisatorischen Einheiten oder ganzen Organisationen, die von einem Kollektiv
bewältigt werden müssen. In solchen Fällen erhält Coaching in der Regel die Funktion einer kompakten Personalentwicklungsmaßnahme,
die dann häufig in Form von Gruppen- oder Team-Coaching erfolgt.
Ursachen für kollektive Krisen liegen vorrangig in ökonomischen Problemen eines Systems, in formalen Umstrukturierungen, in
organisationskulturellen Wandlungsprozessen, in der Fusion von zwei Systemen oder gar in politischen Wandlungsprozessen.
Ökonomische Krisen
Den sicher häufigsten Anlass, Coaching in Anspruch zu nehmen, bilden ökonomische Krisen eines Systems; denn materielle Ressourcen
stellen ja die Basis für den Erhalt eines jeden Systems dar. So beobachten wir heute in ökonomisch bedrängten Bereichen der
Metall verarbeitenden Industrie breite Coaching-Aktivitäten, die oft den gesamten Kader umfassen. Aber auch in vielen sozialen
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