Coaching - Eine Einfuehrung fuer Praxis und Ausbildung
durchzuführen, sondern er musste vermehrt Sitzungen mit einzelnen Mitarbeitersegmenten abhalten usw. Angesichts der neuen
Größenordnung wurde nun aber auch die Etablierung einer neuen Führungsebene notwendig, deren Mitglieder sich überhaupt erst
an die Übernahme von Führungsaufgaben zu gewöhnen hatten.
Vielfältige krisenhafte Erscheinungen lassen sich derzeit auch in der Automobilindustrie beobachten. Um der Konkurrenz aus
Fernost standzuhalten und mit deren hoher Produktivität gleichzuziehen, werden seit einiger Zeit bei Mercedes (
Springer
1993), bei Opel (
Bartels
1993) und
VW
(
Hartz
1994) ganz umfassend »schlanke« Organisationsstrukturen eingeführt. Diese billigen Mitgliedern unterer Hierarchieebenen zwar
sehr viel mehr Entscheidungskompetenzen zu als bisher; mit solchen Korrekturen gehen aber für die betreffenden Mitarbeiter
immer vielfältige Verunsicherungen einher, ob und wie sie nämlich den neuen Anforderungen gerecht werden können. Sie müssen
z. B. neuartige Formen der Gruppenarbeit erlernen (
Reiß
1993), was den Erwerb breiter Sozialkompetenzen notwendig macht. Auch hier kommt derzeit in breitem Umfang Coaching für Teams
und Gruppen zur Anwendung.
|95| Organisationskulturelle Krisen
Mit formalen Umstrukturierungen sind immer mehr oder weniger nuancierte Veränderungen von organisationskulturellen Mustern
verbunden. An den soeben beschriebenen Beispielen wurden schon solche Kulturveränderungen deutlich: Der Verlag und die stationäre
Suchtkrankeneinrichtung mussten sich gleichlaufend mit den Strukturveränderungen von eher »heimeligen« zu stärker versachlichten
Kulturen wandeln. Viele andere Systeme, wie z. B. die der Kfz-Industrie, müssen derzeit einen Wandel von Anweisungs- und Kontrollkulturen
zu einem Höchstmaß an Mitarbeiterpartizipation vollziehen.
Kulturelle Wandlungsprozesse können durch viele Faktoren verursacht sein. Die häufigste Ursache ist sicher ein Führungswechsel;
denn wie wir aus der einschlägigen Literatur wissen (
Peters, Waterman
1982), wirken besonders formale Führungsfiguren kulturprägend. Neue Leitungen treten nicht nur mit einer je eigenen Persönlichkeit
in Organisationen ein, sie tragen in der Regel auch andere Intentionen in ein System hinein. Solche Prozesse wirken sich in
vielen Fällen als schleichende Kulturveränderungen aus, die nicht selten kollektive Krisen nach sich ziehen.
In einer kindertherapeutischen Klinik entwickelte sich durch einen Führungswechsel ein völlig neues Sinnsystem. Der bisherige
Leiter mit psychoanalytischen Intentionen und einem ausgeprägt charismatischen Führungsstil hatte die langjährigen Mitarbeiter
auf einen sehr direkten und kontrovers orientierten Führungsstil geprägt. Als nach seinem Weggang ein Leiter mit klientenzentrierter
Orientierung und einem eher permissiven Führungsstil in das System eintrat, entwickelte die zweite Führungsebene zahlreiche
Irritationen. In dieser Situation wurde ein Team-Coaching des Führungskaders notwendig, damit der Leiter und seine unmittelbaren
Mitarbeiter auch auf normativer Ebene besser zusammenwachsen konnten (
Rau
1994).
Krisen bei der Fusion von zwei Systemen
Turbulente kollektive Krisen finden wir oft bei der Fusion von Systemen. In der Regel befürchtet das soeben aufgekaufte System,
von der »Mutterfirma ohne Rücksicht auf Verluste einverleibt« zu werden, also nach Belieben umstrukturiert und kulturell überrollt
zu werden. Gar nicht selten befürchten aber auch Mitarbeiter der Mutterfirma, dass durch Aufkauf des neuen Unternehmens Abteilungen
des alten stillgelegt oder umstrukturiert werden.
|96| Bei der Fusion von zwei Design-Firmen entwickelten sich turbulente Prozesse. Bei der aufkaufenden, finanziell potenten Firma
handelte es sich um eine straff strukturierte Organisation mit einer breiten Palette von Artikeln aus dem Billigpreis- bis
Mittelklassesortiment. Bei der aufgekauften Firma dagegen handelte es sich um ein Familienunternehmen mit betont exklusiven
Produkten. In dem Familienunternehmen wurden nun neue Vertriebsleiter und Kontroller aus dem Mutterunternehmen eingesetzt,
die die exklusive Firma auf »Trab« bringen sollten. Nach kürzester Zeit waren der Führungsstab des aufgekauften Unternehmens
so demotiviert, dass sie kaum mehr neue Entwicklungen hevorbrachten. Im Verlauf von zwei Jahren entfaltete sich in der Firma
mit dem ursprünglichen Exklusiv-Image eine
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