Coaching - Eine Einfuehrung fuer Praxis und Ausbildung
Beratungsprozessen geht es regelmäßig um das Diagnostizieren höchst diffiziler
Phänomenkonstellationen, die sich meistens nicht präzise operationalisieren lassen, die nur auf der Basis subjektiver Zugänge
zu erfassen sind. Wie lassen sich aber solche Diagnoseprozesse genauer beschreiben? Auch hierzu sollte ein Coaching-Konzept
Angaben enthalten.
Anthropologische Positionen
Nun liegen anthropologische Prämissen ohnedies wie selbstverständlich, d. h. verdeckt, jedem Handeln und somit auch jedem
Handlungsmodell zugrunde (
Herzog
1984). Das Offenlegen und Benennen basaler anthropologischer Überzeugungen, die aus einschlägigen philosophischen Konzepten
abgeleitet werden, bildet aber heute, wie oben gezeigt, aus modelltheoretischer Sicht eine grundlegende Anforderung an jedes
Handlungsmodell (
Hagehülsmann
1984;
Petzold
1993 u. a.). Aus diesem Grund will ich hier vier grundlegende anthropologische Leitlinien formulieren, die mir für ein qualifiziertes
Coaching-Konzept relevant erscheinen (
Schreyögg
1991):
Menschen, so auch die Klienten beim Coaching, sind prinzipiell als autonome Wesen zu begreifen, die sich entsprechend einer
potenziellen individuellen
Handlungsfreiheit
aus jeder Verstrickung durch Beziehungen oder soziale Systeme lösen können (
Apel
et al. 1984). Aus diesem Grund ist ihnen während des Coachings so angemessen zu begegnen, wie es sich der Coach für sich selbst
wünschen würde. Außerdem sollte das Streben der Beratung immer auf ein maximales Freilegen dieser potenziellen Handlungsfreiheit
gerichtet sein, denn nur so lässt sich der Anspruch einer Förderung zum Selbstmanagement einlösen.
Auf der anderen Seite sind Menschen aber auch als soziale Wesen zu sehen, die etwa als Berufstätige immer auf
Sozialität
angewiesen sind (
Merleau-Ponty
1942). Diese genuin soziale Angewiesenheit prägt Menschen nicht nur wie selbstverständlich in einer je spezifischen Weise
aus. Als Mitglied einer Berufsgruppe, einer Organisation, einer gesellschaftlichen Subkultur usw., kann sie sich auch »als
Leid« im Sinne von Vereinnahmt-Sein auswachsen. Grundlegende Intention von Coaching sollte hier sein, Klienten zu unterstützen,
dass sie ihre |143| soziale Angewiesenheit nicht verleugnen, sondern diese durch konstruktive Gestaltung ihrer Umwelt zu einer lebenswerten ausformen.
Ein weiteres, gerade für Coaching gewichtiges Postulat besteht in der Annahme, dass sich Menschen potenziell lebenslang entfalten,
d. h. laufend mit der
Verwirklichung ihrer selbst
und ihrer beruflichen Kompetenzen (
Maslow
1973) beschäftigt sein können, wenn sie nur wollen. Dieses Postulat hat beim Coaching besondere Bedeutung, wenn sich nämlich
Klienten z. B. in Krisen nur noch verzagt und abgeschlagen fühlen, weil etwa durch Umweltbedingungen bei ihnen rapide Veränderungen
herausgefordert werden.
Ein zentrales Postulat für jede berufliche Beratungsform betrifft das anthropologische Verhältnis von Menschen zur Arbeit
und zu Institutionalisierungen. Arbeit, als eine Form menschlichen Tätig-Seins, das in der Antike vielleicht noch ausschließlich
als »Plage« betrachtet wurde (
Böhme
1985), avancierte in modernen Industriegesellschaften zu einem wesentlichen identitätsstiftenden Faktor. So stellt es ja auch
ein konstitutives Merkmal von Coaching dar, Menschen in einer ihnen angemessenen Weise zu maximaler
Identitätsentwicklung
in der Arbeitswelt zu verhelfen. So wie Arbeit allerdings fraglos auch zur kaum bewältigbaren Belastung werden kann, ist es
andererseits eine Aufgabe von Coaching, solche Belastungen zu mildern. Diese anthropologische Haltung des Coach muss deshalb
immer offen bleiben für potenziell unterschiedliche Bedeutungsgehalte von Arbeit.
Das gilt auch für Institutionalisierungen. Spätestens seit
Weber
(1921) wissen wir, dass Menschen durch formale Strukturen der Arbeitswelt verformbar sind und an ihnen in beträchtlichem Maße
auch leiden können. Wir wissen aber andererseits, dass sich Menschen wie selbstverständlich durch Regulative sichern bzw.
ihre Welt überschaubar und beherrschbar zu gestalten suchen (
Berger, Luckmann
1966). Auch für diese beiden Seiten muss ein Coach offen sein. Im anderen Fall wird er seine Klienten einseitig für oder gegen
Regulative der Arbeitswelt beeinflussen.
Erkenntnistheoretische Positionen
Coaching besteht in einem intersubjektiven Prozess zwischen Klient und Coach. Im Verlauf dieses Prozesses versuchen beide
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