Coaching - Eine Einfuehrung fuer Praxis und Ausbildung
das, was den Klienten beschäftigt, so tiefgreifend und umfassend wie möglich zu verstehen, d. h. |144| zu erkennen. Wie kann ihnen dies gelingen, bzw. welche erkenntnistheoretischen Prämissen sind für einen solchen Prozess maßgeblich?
Aus der einschlägigen Literatur (
Schütz
1932;
Foerster
1981 u. a.) wissen wir, dass Menschen die ihnen begegnende phänomenale Welt niemals objektiv im Sinne von »fotografisch« erfassen,
sondern sie auf dem Hintergrund ihrer bisherigen Welterfahrung
subjektiv
und damit selbstgestaltend ausdeuten. Dabei neigen sie zu Strukturierungen: Sie nehmen also spontan nicht einzelne Elemente
wahr, sondern fügen sie wahrnehmungsmäßig zu gestalthaften Konfigurationen zusammen. Diese dienen ihnen als
»kognitive Schemata«
(
Piaget
1946) zur Handlungsorientierung. Im Verlauf ihrer Lebenserfahrung entwickeln Menschen natürlich eine Vielzahl von kognitiven
Schemata. Sie bilden aber immer einen höchst spezifischen »Wissensvorrat« (
Berger, Luckmann
1966), der sich für manche neue Welterfahrung als untauglich erweist und somit zu einer vorübergehenden Konfusion oder Desorientierung
führen kann. Die Aufgabe des Coach besteht dann darin, Klienten zu unterstützen, neue, passendere kognitive Schemata zu bilden.
Aus dem bisher Gesagten wird schon deutlich, dass ein flexibles und umfassendes Erkennen an die Verfügbarkeit vieler unterschiedlicher
kognitiver Schemata geknüpft ist. So sind komplexe Phänomengestalten nur mit einer Vielzahl von kognitiven Schemata angemessen
genug zu erfassen. Eine
Anreicherung von Perspektiven
kann entweder durch einen einfachen Wechsel des Standortes erfolgen, wenn z. B. ein Mensch ein Bauwerk von einer neuen Seite
betrachtet (
Strasser
1962). Eine Anreicherung kann aber auch durch den
Dialog
mit Menschen geschehen, die neue Sichtweisen an den Erkennenden herantragen. In diesem Sinne ist es Aufgabe des Coach, das
Repertoire von Klienten mit neuen Perspektiven anzureichern.
Erkennen, auch das beim Coaching, ist allerdings nicht als rein kognitiver Akt zu begreifen, sondern jede Erkenntnis ist an
ein Körper-Seele-Geist-Subjekt gekoppelt, das seine Welt als Leib wahrnimmt und von ihr auch leiblich erfasst wird. Wie wir
vor allem aus der Psychoanalyse wissen, wird Erlebtes, so auch beruflich Erlebtes, vom jeweiligen Leib-Subjekt zu erlebnishaften
Konfigurationen, zu
»Szenen
«
(
Lorenzer
1970;
Petzold
1993), gespeichert. Sie stellen die je |145| persönliche und damit emotional eingefärbte Art der Ausdeutung von Situationen dar. Wenn diese Szenen von Schmerz oder Panik
begleitet sind, bilden sie starre kognitive Schemata, die das Erkennen in vergleichbaren Situationen erschweren oder unmöglich
machen (
Lorenzer
1970). Hier ist es Aufgabe des Coach, die zugrunde liegenden traumatischen Erfahrungen dem Bewusstsein zugänglich zu machen,
sodass der Klient frei wird für neue Erfahrungen.
Das Erkennen von Menschen ist allerdings keineswegs auf die Auseinandersetzung mit gegenständlichen Phänomenen beschränkt.
Wie jeder Berater weiß, berichten Menschen oft über nur schwer zuordenbare Erfahrungen, die sie als »kühle« oder »bedrängende
Atmosphären
«
(
Schmitz
1978) beschreiben. Auch solche Phänomene sind vom Coach ernst zu nehmen und in den professionellen Erkenntnisprozess einzubeziehen.
2.2 Ein breites Theorieinventarium
Im Zusammenhang mit den persönlichen Anforderungen an den Coach war schon die Rede von »intellektueller Flexibilität« und
einem »soliden sozialwissenschaftlichen Fundus«. Wie anhand der potenziellen Themen von Coaching deutlich wurde, besteht bei
einem Coach ohne breite sozialwissenschaftliche Kompetenzen die Gefahr, dass viele Themen nicht oder nur verkürzt verhandelt
werden. Und bei einem Coach ohne intellektuelle Flexibilität treten Probleme stereotyper Strukturierung auf. Er ist dann nicht
in der Lage, die Themen seiner Klienten aus verschiedenen Perspektiven zu verhandeln. Für Klienten resultieren aus solchen
Mängeln einseitige Entwicklungen.
Im Grundsatz bezieht sich natürlich jeder Coach beim Verstehen beruflicher Fragestellungen seiner Klienten zunächst auf Deutungsmuster
bzw. kognitive Schemata, die er durch seine eigene bisherige Berufserfahrung gebildet hat. Berater entstammen unterschiedlichen
Berufen und Arbeitsfeldern, durch die sie je unterschiedliche Horizontstrukturen erworben und akzentuiert haben. Mit diesen
gehen aber immer auch Begrenzungen einher. Wo
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