Coaching - Eine Einfuehrung fuer Praxis und Ausbildung
kann allerdings nicht auf das Mitgefühl mit Einzelnen, etwa mit der Sekretärin, die gerade Liebeskummer
hat, begrenzt bleiben. Einfühlung muss vielmehr auch Interaktionsphänomene und Systemzusammenhänge einschließen. Humanität
beim Managen beinhaltet breite antizipatorische Fähigkeiten. So müssen etwa die voraussichtlichen Gefühle von Irritation oder
Unbehagen von Organisationsmitgliedern
erahnt
werden können, wenn eine Führungsposition neu zu besetzen ist oder eine Abteilung umstrukturiert werden soll. Coaching hat
dann im Prinzip die Aufgabe, die Bedeutung von Humanität bzw. Inhumanität bei allen Managementaktionen herauszuarbeiten und
zu begleiten.
Bei der Beratung des Leiters einer psychotherapeutischen Kinderklinik, der seine Position gerade erst eingenommen hatte, fiel
auf, dass mehrere Mitarbeiter oft fehlten, Termine vergaßen und insgesamt fahrig und konfus wirkten. Angesichts eines Organigramms
zeigte sich, dass solche Erscheinungen primär bei Mitarbeitern in Abteilungsleiterfunktion auftraten. Den Klinikchef mit klientenzentrierter
Ausbildung beunruhigten diese Phänomene sehr, da er versuchte, »allen einzelnen Kollegen gegenüber eine gleichermaßen freundliche
und verständnisvolle Haltung« entgegenzubringen. Im Verlauf eingehender Untersuchungen erwies sich genau dies als Irritationspunkt.
Das Mittel-Management der Klinik fühlte sich durch diese Haltung depotenziert. Der vorhergehende Leiter hatte besonders dieser
Hierarchieebene eine umfassende Aufmerksamkeit geschenkt und immer wieder ihre Bedeutung als »Stütze des Systems« betont.
Im Coaching bemerkte der neue Leiter über einen Rollentausch mit den Abteilungsleitern nun aber selbst, dass seine durchaus
gut gemeinten »gleichmacherischen« Intentionen bei dieser Gruppierung Enttäuschung erzeugten. Als er im weiteren Verlauf durch
gesonderte Besprechungen usw. auch die formale Bedeutung der Abteilungsleiter wieder mehr betonte, entwickelte sich in dieser
Gruppierung ein höheres Maß an Arbeitszufriedenheit. Außerdem reduzierten sich die Ausfallzeiten. Hier hatten individualisierend
gedachte Humanisierungsziele sogar gegenläufige Effekte.
Wie die organisationstheoretische Literatur postuliert (
Sievers
1975;
Bartölke
1980 u. a.), sollte sich Humanisierung ohnedies nicht auf Human-Relations-Aspekte (
Roethlisberger, Dickson
1939) beschränken, d. h. Menschen »nur« befriedigende Beziehungserfahrungen ermöglichen. Ernst gemeinte Humanisierung in der
Arbeitswelt umfasst vielmehr auch Partizipation an Entscheidungsprozessen, wie es schon Autoren der Human-Resources-Bewegung
(
Argyris
1975;
Likert
1975 u. a.) propagieren.
|165| Hier geht es beim Coaching von Führungskräften oft um die Anleitung zu manifesten Strukturveränderungen in Systemen, die dann
nicht primär auf Erhöhung von Effizienz, sondern auf die Steigerung von Humanität gerichtet sind. Dabei ist es gelegentlich
notwendig, dass der Coach seine eigenen Wertmaßstäbe offenlegt und sie z. B. der Geschäftsleitung gegenüber klar vertritt.
Beim Gruppen-Coaching von Meistern, die im Rahmen einer Umstrukturierung soeben umfassendere Führungsaufgaben erhalten hatten,
erfuhr der Coach nebenbei, dass sie im Rahmen einer turnusmäßigen Leistungsbeurteilung alle ihre unterstellten Mitarbeiter
ausführlich auf ihre Leistung hin begutachten sollten. Die Meister äußerten zunächst vorsichtig, und als sie merkten, dass
der Coach ihre Befürchtungen gut verstehen konnte, immer dynamischer, dass diese Leistungsbeurteilung sie in der aktuellen
Situation völlig überfordern würde. Sie erlebten sich in ihrer neuen Führungssituation noch ziemlich unsicher und begannen
sich überhaupt erst an die neue Rolle zu gewöhnen. Der Coach bat sie nun um ihr Einverständnis, bei der zuständigen Instanz
fachlich intervenieren zu dürfen. Es gelang dann auch tatsächlich, die turnusmäßige Leistungsbeurteilung für diese Abteilung
vorübergehend auszusetzen.
Steigerung der Humanität gegenüber sich selbst
Ein anderer, besonders oft vernachlässigter Faktor ist Humanität gegenüber sich selbst. Viele Freiberufler und Führungskräfte,
vielfach sogar solche, die anderen gegenüber ein hohes Maß an Humanität zu realisieren suchen (
Fengler
1992), behandeln sich selbst gelegentlich wie unumschränkt leistungsfähige Roboter. Da solche Phänomene in der Regel über
Jahre eingeschliffen sind, erkennen Betroffene
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