Coaching - Eine Einfuehrung fuer Praxis und Ausbildung
organisatorischer Einheiten. Nicht selten begegnen uns nämlich beim Coaching destruktive Prozesse, die ein gesamtes
soziales System infiltrieren.
In einer stationären Einrichtung der Drogentherapie hatte sich ein Prozess ergeben, bei dem einige der altgedienten Mitarbeiter,
angefeuert durch eine Teamsupervisorin, die Überzeugung entwickelten, dass ihre Tätigkeit als Ganztagsarbeit zu aufreibend
sei. Sie übten zu fünft einen beträchtlichen Druck auf Leitung und Geschäftsführung aus, um Halbtagsstellen durchzusetzen.
Der Leiter als Hüter des hauseigenen Konzeptes, der das System von Anfang an aufgebaut hatte, widersetzte sich ihrem Anliegen
mit dem Hinweis, dass in diesem Fall mehr Personal angestellt werden müsste, was für die Klienten ein unvertretbar hohes Maß
an Komplexität des Systems mit sich brächte. Im weiteren Verlauf entwickelte sich eine zunehmende Eskalation zwischen Befürwortern
und Gegnern der Halbtagsidee. Die einen drohten mit Kündigung, um ihre Interessen durchzusetzen, die anderen reagierten mit
Verweigerung der Kooperation. Der Leiter fühlte sich innerlich wie gelähmt, trug aber aus Abwehr gegen seine Ohnmachtsgefühle
eine eher aggressive Fassade zur Schau. Beim Coaching artikulierte er seine Angst, das System könne durch Weggang der fünf
»Halbtägler« Schaden nehmen; denn »es ist doch sehr schwer, fünf so potente Therapeuten wieder heranzuziehen«. Zu der schon
bestehenden Empörung über die Halbtagsideen war er auch verärgert, dass er aufgrund seiner Befürchtungen um das System erpressbar
sein könnte.
Als er sich mit der weiteren Zukunft des Systems beschäftigte, wurde ihm deutlich, dass der Ausstieg dieses Teilsystems auch
eine Erleichterung darstellen könnte; denn genau diese Mitarbeiter bildeten einen »sozial-orientierten« Kulturflügel (
Brody
1993), der in der letzten Zeit jeweils alle seine professionellen Anforderungen infrage gestellt hatte. »Ich glaube fast,
ich selbst habe in den letzten Jahren einen starken Veränderungsprozess durchlaufen«, meinte er nun, »den wollten diese Kollegen
einfach nicht mitvollziehen. Schade, wir haben uns früher gut verstanden, aber ich bin ganz klar entschieden, dass unser System
deutlicher professionalisiert werden muss, sonst geht es unter. Da passen solche Wehleidigkeiten nicht mehr.« Er stellte diesen
Zusammenhang nun ganz ruhig im Team dar, worauf eine »wehmütige Stille« im Raum einkehrte. Jetzt wurde es ihm auch möglich,
die fünf Mitarbeiter in Frieden gehen zu lassen und zielstrebig eine neue Crew von Teamern aufzubauen. Seine vorher gut ausgeprägten
Möglichkeiten sozialer Integration kamen nun wieder voll zum Tragen.
|170| 2.2 Ausbau von Gestaltungspotenzialen
Eine besondere Aufgabe von Coaching besteht im Ausbau menschlicher Gestaltungspotenziale im Beruf. Sie lassen sich auf individuelle
und soziale Gestaltungsmöglichkeiten fokussieren.
Ausbau individueller Gestaltungspotenziale
Zu diesem Bereich finden wir in der Coaching-Literatur (z. B.
Ulrich
1993) umfangreiche Kataloge, die Kreativität, Kommunikationsfähigkeit, die Möglichkeit zur Selbstkongruenz, maximale Konfliktverarbeitungsfähigkeit
usw. umfassen. In jedem gelungenen Coaching-Prozess können diese und andere individuellen menschlichen Möglichkeiten entlang
der Bearbeitung konkreter Arbeitsthemen kontinuierlich gefördert werden. Sie sind gewissermaßen Nebeneffekte eines qualifizierten
Coaching.
Wie im 3. Kapitel schon beschrieben, besteht das Ziel von Coaching in manchen Fällen auch darin, Klienten zu unterstützen,
ein neues Wirkungsfeld zu finden, das ihren schon vorhandenen Potenzialen besser als das aktuelle entspricht. Dabei handelt
es sich dann idealerweise nicht um einen »dramatischen Weggang«, sondern um einen wohl überlegten Wechsel.
Ausbau sozialer Gestaltungspotenziale
Wie aus allem bisher Gesagten deutlich wurde, zielt Coaching nie auf eine »solipsistische Nabelschau«. Als Form beruflicher
Beratung ist es in der einen oder anderen Weise fast automatisch mit sozialen Phänomenen befasst. In diesem Sinn geht es beim
Coaching oft um eine effektivere oder humanere Ausgestaltung beruflicher Beziehungen; oder es geht im Sinne von »Selbstmanagement
in Rollen« (
Auer-Hunzinger, Sievers
1991) um sinnvollere oder umfassendere Ausgestaltungen einer gegebenen Position. Eine besonders günstige Möglichkeit zur Realisierung
solcher Ziele ergibt sich, wenn
Weitere Kostenlose Bücher