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Cobra

Titel: Cobra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Zahn
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darstellt, als dass sie auf fehlendes Interesse an häuslicher Ordnung zurückzuführen ist. Jonny saß an dem zerkratzten Tisch in der Zimmermitte, ließ den Blick an der gegenüberliegenden Wand entlangwandern und betrachtete deren verblichene blaue Farbe als Metapher für seine eigene Erschöpfung. Eine Landkarte seiner eigenen Seele, mit kleinen Rissen und abgeblätterten Stellen, in denen sich die Auswirkungen dreier Kriegsjahre auf seinem Gemüt widerspiegelten. Aber die Wand steht noch immer, sagte er sich entschlossen, wie immer an diesem Punkt seiner Grübeleien. Die Explosionen und der Knall der Sonics können die Oberfläche stark erschüttern, doch darunter bleibt die Wand stabil. Wenn eine blöde Wand das kann, dann kann ich das schon lange.
    »So?«, fragte zögernd eine Stimme neben ihm.
    Jonny blickte auf das zerknitterte Stück Papier und die Zeilen und Zahlen, die das Kind daraufgemalt hatte. »Also, die ersten drei sind richtig«, nickte er. »Aber die letzte müsste …«
    »Ich komme noch drauf«, unterbrach ihn Danice und machte sich mit neuem Eifer über das Geometrieproblem her. »Verrat’s mir nicht.«
    Jonny musste lächeln und beobachtete liebevoll das zerzauste rote Haar und den ernst entschlossenen Blick, mit dem das Mädchen die Aufgaben nochmals durchrechnete. Danice war zehn Jahre alt, genauso alt, wie Jonnys Schwester jetzt war, und obwohl er seit seiner Ankunft auf Adirondack nichts von seiner Familie gehört hatte, stellte er sich manchmal vor, dass Gwen zu einer dunkelhaarigen Version des Mädchens hier neben ihm herangewachsen war. Gwens Schwung und ihr gesunder Menschenverstand waren auch bei Danice im Überfluss vorhanden. Und
sie zeigte zudem jene Selbstständigkeit, die Jonny oft bei seiner Schwester aufgefallen war, indem sie ihn – trotz der Reserviertheit ihrer Eltern dem Cobra-Krieger gegenüber, der sich vorübergehend in ihrer Wohnung eingenistet hatte – wie einen guten Freund behandelte.
    Doch Danice wuchs in einem Kriegsgebiet auf, und mochte sie noch so charakterstark sein, all dies würde sie kaum unbeschadet überstehen. Bislang hatte sie Glück gehabt. Sie hockte zwar zusammengepfercht mit zu vielen Menschen in einer kleinen Wohnung, aber ansonsten hatte der schwelende Guerillakrieg draußen ihr Leben nur indirekt berührt.
    Genügend Zeit vorausgesetzt, würde sich das jedoch mit Sicherheit ändern, besonders wenn die Cobras länger blieben, als sie erwünscht waren, und die Trofts in die Gegend lockten. Auf der einen Seite bereitete das Jonny zusätzliche Sorgen, auf der anderen lieferte es ihm einen weiteren Anreiz, seine Arbeit gut zu machen und den Krieg so schnell wie möglich zu beenden.
    Durch das offene Fenster drang ferner, dumpfer Donner herein. »Was war das?«, fragte Danice, während ihr Bleistift über dem Blatt Papier innehielt.
    »Sonicdonner«, sagte Jonny sofort. Er hatte sofort seine akustischen Verstärker eingeschaltet und das unverwechselbare Sirren des Troft-Triebwerks hinter der Schockwelle erkannt. »Wahrscheinlich ein paar Kilometer entfernt.«
    »Oh.« Der Bleistift setzte seinen Weg über das Papier fort.
    Jonny stand auf, trat ans Fenster und sah hinaus. Das Apartment lag sechs Stockwerke hoch, viel zu sehen gab es trotzdem nicht. Wegen des weichen Bodens um Cranach herum war man gezwungen gewesen, in die Höhe zu bauen statt in die Breite – so wie in den meisten anderen Städten auf Adirondack. Gleich gegenüber befand sich eine massive Wand aus sechsstöckigen Gebäuden, dahinter waren nur die Spitzen der Wolkenkratzer im Zentrum von Cranach zu erkennen. Er vergrößerte den Bildausschnitt mit einem Klicken und suchte den sichtbaren Teil des Himmels nach Spuren von Raumgleitern ab. Die Pulscodenachricht
gestern Abend von außerhalb des Planeten hatte eine verzweifelte, hektische Aktivität ausgelöst. Der Untergrund versuchte, sich auf die neuen Cobras vorzubereiten – Cobras, die dank der katastrophalen Planung praktisch mitten im Aufmarsch der Trofts landen würden, der in und um Cranach im Gange war. Jonnys Kiefermuskeln spannten sich bei dem Gedanken, doch niemand hatte irgendetwas dagegen unternehmen können. Eine verschlüsselte Nachricht zu empfangen war eine Sache, erheblich heikler war es, das Signal zu erwidern, selbst wenn das Kurierschiff sich erlauben konnte, in der Nähe zu bleiben. Jonny kannte ein rundes Dutzend Wege, Peilempfänger für Funk-, Laser- und Pulscodesender auszutricksen – und jeder von ihnen

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