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Coco Chanel & Igor Strawinsky

Titel: Coco Chanel & Igor Strawinsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Greenhalgh
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Energie und Kraft. Das deprimiert Igor, und er kann diese Tatsache nur schwer verbergen. Er schafft es, ihm gegenüber höflich zu bleiben, aber eine gewisse Schroffheit im Umgang mit ihm kann er nicht vermeiden. Einem Zaren Treue zu schulden und sein Porträt an die Wand zu hängen ist das eine. Aber es ist etwas ganz anderes, wenn so ein dahergelaufener, aufgeblasener Höfling ins Zimmer kommt, einen Blick
auf den Druck wirft und sagt: »Ach, Cousin Nikolai. Sieht ihm tatsächlich ähnlich.«
    Dimitri verströmt eine ungewöhnliche aristokratische Vitalität. Er ist groß, und es sieht fast schon albern aus, wie er den kleineren Igor überragt. Seine leuchtend grünen Augen scheinen Igors Züge mit jedem Blick, den er ihm zuschleudert, auflösen zu wollen.
    Er ist elf Jahre jünger als Coco, und anfangs hält sie ihn für unreif. Aber nach einer Weile stellt sie fest, dass das nur an Igor liegt, der im Vergleich zu ihm immer so steif und würdevoll wirkt. Mit der Zeit findet sie Gefallen an seiner rauen, aber herzlichen Fröhlichkeit und seiner scherzhaften Art. Es ist so eine angenehme Abwechslung von Igors selbstbezogener Ernsthaftigkeit. Sie findet es lustig, die beiden nebeneinander zu sehen. Sie halten Abstand voneinander wie zwei Preisboxer, und Igor sträuben sich jedes Mal die Haare, wenn Dimitri in seine Nähe kommt.
    Fasziniert bemerkt sie, dass er mehr und mehr Besitzansprüche stellt. Die beiden Männer reden nur selten miteinander, auch wenn sie sich mit beinahe soldatisch anmutender Höflichkeit grüßen. Wenn sie sich unterhalten, dann in schnellem Russisch. Meistens sind sie unterschiedlicher Meinung. Hinter vorgehaltener Hand nennt Igor Dimitri einen Dummkopf, während Dimitri über Igors verklemmte Art lästert und die unverhoffte Gelegenheit zu Spott und Spaß in diesem Haus genießt. Coco sitzt zwischen ihnen und beobachtet, wie sie hitzig diskutieren, bis einer von ihnen die Achseln zuckt und übersetzt - entweder richtig oder absichtlich falsch -, was der andere zu sagen hat.
    Im Gegensatz zu Igor war Dimitri in Sankt Petersburg, als die Revolution ausbrach. Dank seiner schnellen Reaktion gelang es ihm, einen Teil seines Vermögens zu retten, bevor
die Bolschewiken die Macht übernahmen. Aber seine finanziellen Verhältnisse sind nicht so gefestigt, dass er es sich erlauben könnte, eine Einladung abzulehnen, die ihm freie Unterkunft ermöglicht. Vor allem wenn es sich bei seiner Gastgeberin um die hinreißende Mademoiselle Chanel handelt. Als kluger Mann hat er ihr ein Geschenk mitgebracht: eine mehrreihige Perlenkette aus dem Schatz der Romanows. Zu Cocos größtem Entzücken gibt es sogar Gerüchte, dass er für sie ein Fabergé-Ei beschafft habe.
    Igor sieht seinem Treiben verbittert zu. Er könnte sich solche Geschenke niemals leisten. Außerdem wird ihm bewusst, dass er seine Sinfonien immer noch nicht fertiggestellt hat.
     
    Zunehmend verärgert darüber, dass sie sich in ihrem eigenen Haus nur noch auf Zehenspitzen bewegen darf, merkt Coco, wie der Reiz des Neuen und das Kribbeln in ihrer Beziehung zu Igor rasch verfliegen und auf ihrer Seite einer wachsenden Gleichgültigkeit Platz machen. Allmählich wird ihr Verhalten ihm gegenüber immer unverbindlicher.
    Sie beschließt, mehr Zeit im Salon zu verbringen. Fest entschlossen, sich aus der jetzigen Situation zu befreien, beendet sie ihre nachmittäglichen Besuche in Igors Arbeitszimmer. Nachdem sie sich eine ganze Woche nicht mehr unter vier Augen gesehen haben, sucht Igor eine Aussprache.
    Jetzt, da sie einen Gast hätten, sei es doch unhöflich, sich heimlich davonzustehlen, erklärt Coco. Außerdem sei das Risiko mit Dimitris Anwesenheit viel größer geworden. Sie müssten aufpassen, dass nicht doch noch alles ans Licht käme, vor allem nachdem sie sich in den vergangenen Wochen solche Mühe gegeben hätten, ihre Affäre geheim zu halten. Sie wollten doch nicht, dass die Leute jetzt anfingen zu reden, oder? Und am allerwenigsten Dimitri, der die Neuigkeiten
über Igors Missetaten in Windeseile in den Kreisen befreundeter Emigranten verbreiten würde. Nein, beharrt sie, an einer kleinen Auszeit führe kein Weg vorbei.
    Igor stimmt ihr widerstrebend zu, trotzdem leidet er unter seiner Verbannung aus dem Zentrum von Cocos Leben. Er räumt ein, dass ihre Argumente vernünftig sind, aber er ist sich nicht so sicher, ob sie wirklich aufrichtig zu ihm ist. Wenn sie ihn tatsächlich so sehr liebt, warum hat sie dann ihre Beziehung

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