Coco Chanel & Igor Strawinsky
hin.
Ruhelos spielt Igor Solitaire. Seine Finger treffen schnelle Entscheidungen. Kaum nimmt er eine gewachste Karte vom Stapel, schnipst er sie auch schon auf den Tisch. Das Geräusch unterstreicht die Leere, die er in seinem Innern spürt.
Draußen dehnen sich Schatten über den Rasen. Am Himmel hängen schmale Wolkenfetzen, wie von der Seite betrachtete
Karten. Coco und Dimitri sind noch nicht zurück. Es ist später Nachmittag, sie sind schon seit Stunden fort. Igors Bein zittert nervös und lässt den Tisch vibrieren.
Endlich hört er das Hufgetrappel anschwellen, als sie sich der Auffahrt nähern. Hastig löscht er das Licht im Zimmer. Um von draußen nicht gesehen zu werden, stellt er sich schräg hinter das Fenster und sieht hinaus. Von hier hat er alles im Blick.
Die Pferde bleiben stehen, und zwei Personen sitzen ab. Er sieht Coco und Dimitri, die Köpfe in vertrauter Unterhaltung einander zugeneigt. Als Piotr die Pferde wegführt, kommen sie aufs Haus zu.
Igors Körper wird starr. In der Dunkelheit wächst seine Angst. Als er Cocos erregendes Lachen im Eingangsflur hört, kommt er wieder zu sich. Er setzt sich wieder zu seinen Karten, als hätte er die Solitaire-Partie nie unterbrochen. Vom Flur aus ruft Coco seinen Namen. Er antwortet so gleichmütig wie möglich, und sie folgt seiner Stimme ins Wohnzimmer.
»Warum sitzt du denn hier im Dunkeln?« Aus ihrer Stimme klingt leiser Spott.
»Ich sehe genug«, antwortet er gespielt zerstreut.
Verwundert schaltet sie das Licht an. Er dreht sich um und sieht ihren ausgefüllten Umriss. Sie strahlt nach ihrem Ausritt vor Energie, und die eng anliegende Reitkleidung steht ihr fantastisch. Ihre Augen sind voller warmer Farben, und ihre Wangen sind zart gerötet. Die Reitgerte immer noch wie einen Taktstock in der Hand haltend, streicht sie sich schwungvoll das Haar aus dem Gesicht.
Schmerzlich wird ihm einmal mehr bewusst, wie zauberhaft sie aussieht. »Wie war euer Ausritt?«, erkundigt er sich.
»Gut, danke.« Es folgt ein kurzes Schweigen. »Und was ist mit dir? Wie war dein Kartenspiel?«
»Gut«, sagt er und knallt eine weitere Karte auf den Tisch. Doch seine Ungezwungenheit wirkt bemüht.
»Das freut mich«, sagt sie, verlässt das Zimmer und schließt die Tür hinter sich.
Ihr plötzliches Verschwinden macht ihn fassungslos. Wie erstarrt hält er die nächste Karte in den Fingern. Er hört Dimitri einen Scherz machen, dann Cocos Lachen. Das ist der Auslöser. Er fegt die Karten vom Tisch, sodass sie sich auf dem ganzen Fußboden verteilen. Mit geballten Fäusten springt er von seinem Stuhl auf. Ein paar Sekunden lang marschiert er im Zimmer auf und ab und flucht leise auf Russisch vor sich hin. Wenn der Kater hier wäre, würde er ihn treten. Ihm wird bewusst, wie machtlos er in dieser Situation ist. Er kann sie ja wohl schlecht der Untreue bezichtigen. Schließlich sammelt er mit geradezu manischer Sorgfalt die Karten wieder auf und steckt sie zurück in ihre Schachtel.
Er geht hinaus zum Schuppen, wo die Vögel in ihren Käfigen immer noch fröhlich vor sich hin schwatzen. Eine Außenlampe hüllt das kleine Gebäude in sanftes Licht. Als er es betritt, hält er erschrocken inne. Denn nach wochenlangem Üben hört er einen der größeren Papageien zum ersten Mal ihren Namen sagen. Er versucht schon so lange, es ihnen beizubringen, dass er beinahe die Hoffnung aufgegeben hätte. Und ausgerechnet jetzt fällt es einem von ihnen ein. Da ist es wieder, klar und deutlich, geradezu schrill. Der Klang ihres Namens hallt im Schuppen wider, schwillt an zu einem Sprechgesang in seinem Kopf. Er kann es kaum glauben. Es ist so furchtbar, dass er beinahe lachen muss. Er starrt den Vogel an, der den Kopf auf die Seite legt und selbstgefällig zurückstarrt. Die Götter sind grausam.
Nacheinander breitet er die schwarzen Tücher, die Coco für ihn zurechtgeschnitten hat, wie Leichentücher über die Käfige. Diese Geste hat etwas Endgültiges, etwas Abschließendes. Die Schwärze dehnt sich aus und überdeckt den Abend.
Langsam verstummen die Vögel in der Dunkelheit.
Die Kinder vergöttern Dimitri, der nachmittags meistens mit ihnen spielt. Er sprüht vor Energie, und sein Vorrat an Ideen für neue Spiele ist unerschöpflich. Théodore und Soulima sind begeistert von den Berichten über seine Heldentaten und Abenteuer. Vor allem seine Schilderung des Mordes an Rasputin, von dem sie schon so viel gehört haben, fasziniert sie.
»Wie haben Sie
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