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Coco Chanel & Igor Strawinsky

Titel: Coco Chanel & Igor Strawinsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Greenhalgh
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viel steiler als sonst, und sie klammert sich Halt suchend ans Geländer.
    Sie fragt sich, warum sie überhaupt so schnell aus Paris zurückgekommen ist. Adrienne wollte, dass sie noch bleibt. Sie spürt, wie sie innerlich leer wird, und ihr wird bewusst, dass sie seit Stunden nichts mehr gegessen hat. Alle Vorfreude weicht aus ihrem Gesicht. Sie fühlt sich zutiefst betrogen.
    Obwohl sie nichts Verräterisches gesehen hat, spürt sie, wie sich eine Waage in ihrem Kopf neigt. Es gibt Dinge zwischen Igor und seiner Frau, die sie niemals erfahren oder verstehen wird, Dinge, die niemals durch etwas anderes aufgewogen werden können. Das ist ihr jetzt klar.
    Igor wird Jekaterina nicht verlassen. Diesen Schritt wird er niemals über sich bringen. Trotzdem ist es feige von ihm, bei ihr zu bleiben, denkt Coco. Es wird zu viel. Trotz aller liebevollen Zärtlichkeit, die er ihr in den vergangenen Monaten
geschenkt hat, wird er eines ganz sicher nicht tun: seine Frau opfern. Die beiden verbinden lange Jahre gegenseitiger Sorge und Zuneigung, von denen Coco sich ausgeschlossen fühlt. Und dieser letzte Blick auf ihren vertrauten Umgang miteinander entfremdet sie ihm noch weiter. Ihre Ehe wird immer da sein: nagend, unwiderruflich, eine harte, vertraglich gesicherte Tatsache.
    Plötzlich ist alles so offensichtlich. Und ihr Schmerz ist umso größer, weil sie das Gefühl hat, absichtlich die Augen davor verschlossen zu haben. War sie verrückt? Hat sie es denn nicht gesehen? Wie konnte sie sich nur ernsthaft vorstellen, dass er Jekaterina jemals verlassen würde? Und hätte sie das überhaupt gewollt? Eine banale Erkenntnis, und doch bewahrt sie sie nicht vor einer wachsenden Angst.
    Igor und Jekaterina so als Mann und Frau zusammen zu sehen, hat ihre Eifersucht geweckt. Plötzlich überwältigt sie das schreckliche Gefühl, nur eine gewöhnliche Geliebte zu sein. Einen Moment wird ihr übel. Zurück in ihrem Arbeitszimmer fegt sie mit einer unbeherrschten Bewegung die Stoffe von ihrem Tisch, die dort säuberlich gefaltet nebeneinander liegen. Wütend greift sie nach dem Schläger, den Igor damals im August bei der Tennispartie mit den Serts benutzt hat und der seit jenem Tag in ihrem Arbeitszimmer liegt. Sie zerrt an der gerissenen Saite, bis sie sich vollständig aus dem Rahmen löst, knüllt sie zusammen und schleudert sie durchs Zimmer. Dann schlägt sie den Rahmen so fest auf den Tisch, dass das Holz splittert. Als sie es knacken hört, schlägt sie immer weiter, bis der Kopf schließlich abbricht.
    Die Wahrheit wird in sie hineingefoltert. Wie lange ihre Affäre auch dauern mag, letztlich wird er doch unweigerlich zu Jekaterina zurückkriechen.
    »Mistkerl!«, flucht sie und lässt sich auf ihren Stuhl fallen.
Machtlos schlägt sie auf die eingekerbte Tischplatte ein, bis sie schließlich resigniert den Kopf darauf sinken lässt. Haltloses Schluchzen schüttelt sie. Ein Gefühl der Leere ergreift von ihr Besitz. Nach einer Weile gelingt es ihr, sich zu beruhigen. Sie stützt sich mit beiden Ellbogen auf der Tischplatte ab und legt das Gesicht in die Hände. Ringsum dringt die Stille durch den dunkler werdenden Nachmittag.
    Sie beißt sich auf die Lippe und erinnert sich daran, was sie zu Adrienne über ihre Arbeit gesagt hat, die immer an erster Stelle steht. Etwas in ihrem Innern verhärtet sich. Sie beginnt nachzudenken.

Kapitel 27
    SECHS TAGE NACHDEM Coco ihn angerufen und eingeladen hat, trifft Großfürst Dimitri ohne größere Förmlichkeit, aber mit mehreren Schrankkoffern Gepäck in Garches ein. Außerdem bringt er seinen Hausdiener Piotr mit: einen Mann wie ein Bär, am ganzen Körper behaart, unterwürfig und vollkommen unfähig, sich artikuliert auszudrücken.
    Coco hat Dimitri letztes Frühjahr in Biarritz kennengelernt und sich auf Anhieb gut mit ihm verstanden. Der schneidige, attraktive Großfürst verfügt über beste Referenzen, denn er ist der Enkel von Alexander II. und ein Cousin von Zar Nikolaus II. Außerdem gehörte er zu den Mördern Rasputins. Sie behauptet, sie habe ihn nur Igors wegen eingeladen. Mit seinem Landsmann kann er russisch sprechen, und endlich hat er etwas männliche Gesellschaft. Aber Igor spürt, dass Coco noch andere, bislang unklare Motive hat. Er ist verwirrt. Warum Dimitri? Und warum gerade jetzt?
    Vom ersten Moment an ist er eifersüchtig und voller Groll. Der großspurige Dimitri, dem sein Ruf als Schürzenjäger vorauseilt, erfüllt das Haus mit seiner überschäumenden

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