Coco Chanel & Igor Strawinsky
keine Gedanken mehr darüber zu machen, wer sie sehen oder hören könnte.
Jekaterina verspürt unterdessen eine neue Woge des Abscheus für ihren Mann. Igor geht es gut, solange Coco in ihrem Laden ist. Aber sobald sie zurückkommt, beginnt er zu sabbern wie ein Schoßhund. Jekaterina kann sich angesichts der Entwicklung ein bitteres Lächeln nicht verkneifen. Süße Schadenfreude rinnt wohlig durch ihre Adern. Ihre Wangen bekommen wieder Farbe. Ihre innere Gelassenheit kehrt zurück. Von Tag zu Tag fühlt sie sich ein wenig kräftiger, und sie stellt fest, dass sie wieder mehr Zeit mit den Kindern verbringen kann, die darauf mit lang vermissten Umarmungen reagieren. Sie ist sogar in der Lage, ein paar kürzere Spaziergänge zu unternehmen.
Igor begegnet ihr mit neuer Herzlichkeit und zeigt ihr sogar offen seine Zuneigung. Sie hingegen wird ihm gegenüber immer reservierter. Sie durchschaut seine Absichten: Er geht auf Nummer sicher, sucht nach Beistand, nach jemandem, der seine Wunden leckt. Aber da ist er bei ihr an der falschen Adresse. Zu seinem Ärger macht sie keinen Hehl daraus, dass sie Dimitri mag. Er ist wie ein frischer Windhauch im Haus. Sie findet ihn höflich und charmant, und sie genießt es, sich mit ihm auf Russisch zu unterhalten. Er erweist sich als ein unerwarteter Verbündeter. Außerdem geht er ganz
wunderbar mit den Kindern um. Und er bringt sie zum Lachen. Ein Lachen, das in ihren eigenen Ohren fremd klingt, weil sie es schon so lange nicht mehr gehört hat. Vielleicht ist es das Lachen, das ihr das nötige Selbstvertrauen gibt, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Ein paar Tage später nimmt Jekaterina ihre ganze Kraft und Entschlossenheit zusammen und beginnt, ihre Sachen zu packen. Sie erklärt, dass sie Garches verlassen und mit den Kindern nach Biarritz ziehen wird - angeblich wegen des Klimas und der besseren Schulen. Sie hat ausgerechnet, dass sie genug gespart hat, um dort eine kleine Wohnung mieten zu können. Sie ist nicht länger auf Mademoiselle Chanels Großzügigkeit angewiesen. In Wahrheit ist sie mittlerweile so weit, dass sie notfalls sogar in einem Schuppen leben würde, nur um von ihr wegzukommen.
Igor ist außer sich vor Wut. »Das kannst du mir nicht antun!«, schreit er, während sie ihre Kleider faltet und in den Koffer legt.
»Ich tue es nicht dir an. Ich tue es für mich und für die Kinder.« Ausgewaschen vom vielen Weinen, ist ihre Stimme in den letzten Wochen einen Halbton tiefer und eine Spur rauer geworden.
»Aber ich will, dass du hierbleibst.«
»Ach, wirklich? Warum?«
»Weil …«, er stockt, »… du zu mir gehörst, hierher. Ich brauche dich.«
»Und ich habe dich gebraucht!« Dass sie die Vergangenheitsform benutzt, versetzt ihm einen Stich.
Sein ganzer Körper bebt vor Wut. Aber selbst in seinem Zorn wäre es ihm peinlich, wenn die anderen im Haus ihn hören könnten, und so fährt er mit einem grimmigen Flüstern fort: »Du bist meine Frau!«
»Daran hättest du früher denken sollen«, erwidert Jekaterina schrill. Ihr ist es egal, wer sie hört.
Noch vor ein paar Wochen hat sie sich verzweifelt gewünscht, dass er zu ihr kommt. Sie hat um seine Zuneigung gebettelt, ihn um emotionale Unterstützung angefleht, aber er hat nicht darauf reagiert. Damals hat er sie im Stich gelassen. Warum sollte sie also jetzt loyal sein?
»Wir sind immer noch verheiratet. Daran ändert sich nichts. Das ist heilig.«
»Das war dir in den letzten Wochen auch egal!«
Er kämpft gegen eine aufsteigende Panik. »Was hast du denn überhaupt vor?«
»Ich komme schon zurecht.«
»Bist du sicher?«
»Nein. Aber vielleicht ist es gerade das, was ich brauche.« Sie legt ein weiteres Kleid in den Koffer und streicht es glatt.
Es war beinahe eine Erleichterung, sich damit abzufinden, dass sie von ihm nichts mehr zu erwarten hat. Sie sehnt sich nicht länger nach Liebkosungen, die nicht kommen. Es mag seltsam klingen, aber die Tatsache, dass sie für ihn wie tot war, hat ihr eine neue Freiheit geschenkt.
»Hast du dir das auch gut überlegt?«
»Lange und gründlich. Ich ertrage das hier nicht mehr länger.«
Ein gepresster, leicht hysterischer Klang schwingt in seiner Stimme mit. »Was erträgst du nicht mehr?«
»Beleidige mich nicht, Igor.«
»Aber das mit Coco ist fast vorbei …«
»Fast?« Sie hält einen Moment mit Packen inne. »Was verlangst du denn? Noch eine Woche, einen Monat, ein Jahr?«
»Aber wenn ich es doch sage. Wir passen nicht zueinander.«
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