Coco Chanel & Igor Strawinsky
sie mitsamt den Kindern auszieht, seinem Stolz einen herben Schlag, aber andererseits könnte dieser Schritt dazu beitragen, seine Beziehung zu Coco wieder in Ordnung zu bringen. Jetzt ist er frei, um sie zu kämpfen. Jetzt braucht er nicht länger das schlechte Gewissen zu haben, das ihn plagt, wenn seine Frau in der Nähe ist. Doch dann wechselt seine Stimmung erneut, und die Hoffnung weicht der Angst, dass auf seinen Verrat an Jekaterina ein weiterer folgen könnte, diesmal an ihm selbst. Angst, dass
nichts wieder gut wird, dass er sich nicht nur seiner Frau, sondern auch Coco entfremden könnte. Angst, dass die Energie und Inspiration, die er seiner Arbeit vorbehält, in emotionalen Turbulenzen vergeudet wird. Angst, dass er am Ende ganz allein dasteht.
In den Stunden darauf wandert der Klang des Klaviers durch sein Arbeitszimmer wie ein Riss in der Eisfläche auf einem Teich.
Abends setzen sich Igor und Jekaterina mit den Kindern zusammen und informieren sie darüber, dass sie Bel Respiro verlassen und schon am nächsten Morgen mit ihrer Mutter nach Biarritz reisen werden. Wegen des besseren Klimas, behaupten ihre Eltern. Und weil die Schulen dort ihren Bedürfnissen besser entsprechen. Und weil es in der Villa in Garches zu eng wird, nachdem jetzt auch noch Dimitri eingezogen ist. Ihr Vater, erklären sie ihnen, bleibt noch eine Weile da, um seine Arbeit zu beenden.
Die Kinder sind wie vor den Kopf geschlagen. Sie nehmen die Neuigkeit mit finsterem Schweigen auf. Théodore ist der Einzige, der sich über ihre Abreise zu freuen scheint. Aber an Igors und Jekaterinas händeringenden Entschuldigungen erkennen die Kinder ihre Nervosität. Merkwürdigerweise fragt keines von ihnen nach. Vielleicht weil etwas ihnen verrät, dass sie die Antwort lieber nicht hören wollen. Soulima und Ludmilla, die die Aussicht auf einen erneuten Umzug verwirrt, haben den Blick auf den Boden gesenkt.
Als sie später alle im Bett liegen, geht Igor noch einmal in die Schlafzimmer seiner Kinder. Ihre Lippen sind im Schlaf geöffnet, als wollten Blasen davon aufsteigen. Der Anblick seiner schlafenden Kinder hatte für ihn immer schon etwas Heiliges.
Während Milena im Schlaf immer noch das verknautschte Aussehen eines Kleinkinds anhaftet, wirkt Théodore bereits männlich und fast erwachsen. Um Soulima macht er sich die größten Sorgen. In dem Jungen erkennt Igor sich selbst wieder. Die gleiche Gesichtsform, die gleichen Augen, die gleiche Nase. Es ist er selbst, auf den er da hinabschaut, dreißig Jahre jünger, die Perspektive vertauscht.
Igor hat seinen kühlen, lieblosen Vater gehasst. Er hat sich immer vorgenommen, später, wenn er selbst Kinder hätte, viel liebevoller zu ihnen zu sein. Aber jetzt muss er erkennen, dass auch er sich instinktiv zurückzieht, wenn es darauf ankommt. Genau wie sein Vater stößt er seine Kinder von sich weg und hält sie instinktiv auf Distanz. Bei der Geburt jedes einzelnen von ihnen war er zwar stolz und glücklich, aber die ständigen Ansprüche, die sie an seine Zeit stellen, sind ihm zuwider. Außerdem konkurriert ihre häusliche Musik zu sehr mit seiner eigenen.
Doch als er sich jetzt über sie beugt und ihre schlafenden Gesichter betrachtet, spürt er den Schmerz des bevorstehenden Verlusts. Er legt die Finger an seine Lippen, küsst sie und drückt den Kuss nacheinander seinen Kindern auf. Sie regen sich kaum. Seine Lippen formen die Worte »Gute Nacht« gerade laut genug, dass Ludmilla im Schlaf darauf reagiert. Ihre Hand ballt sich, bevor sie sich langsam wieder entspannt. Er bemerkt, dass sie alle ohne Licht schlafen, und erinnert sich daran, dass er selbst als Kind nie schlafen konnte, wenn es ganz dunkel war. Sie sind so tapfer, denkt er.
Am nächsten Morgen stehen die Kinder nach vielen Tränen mit Jekaterina abfahrbereit an der Haustür. Auch Coco ist da. Dimitri ist in den Wald auf die Jagd gegangen, nachdem er sich von ihnen verabschiedet hatte. Coco reicht Jekaterina
die Hand. Unwillkürlich bewegt sich Jekaterinas Hand langsam auf sie zu. Einen absurden Moment lang fühlt sie sich sogar privilegiert, eine obskure Dankbarkeit durchströmt sie. Dann steigt erneut der Zorn in ihr hoch und öffnet seine Schwingen in ihrem Kopf. Als Coco Anstalten macht, sie zu küssen, dreht sie sich um und wendet ihre heiße Wange ab.
»Warum bleibt Papa denn hier?«, will Soulima wissen.
»Das habe ich euch doch schon erklärt«, antwortet Jekaterina.
»Aber ich verstehe immer noch
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