Coco Chanel & Igor Strawinsky
Er hört sich selbst reden, doch er ist seltsam unfähig,
die Worte aufzuhalten, die aus seinem Mund kommen. Am meisten überrascht ihn, dass er nichts von dem, was er sagt, wirklich meint.
»Und was lässt dich glauben, dass wir es tun?«
»Haben wir das nicht in all den Jahren bewiesen?«
Sie faltet weiter ihre Sachen. »Ich würde sagen, die letzten Monate haben etwas anderes gezeigt.«
»Warum denn?«
Es scheint, als sei Nebel zwischen ihnen aufgestiegen. »Wenn es nicht Coco ist, dann wird es eine andere sein, darum. Und ich glaube, das ist es einfach nicht mehr wert«, fügt sie hinzu.
»Das ist nicht fair.«
»Ach, wirklich?«
»Das tust du nur aus verletztem Stolz.«
»Und das wurde auch langsam Zeit!«
Unvermittelt spürt Igor eine gewisse Bewunderung für seine Frau, für ihren Einfallsreichtum und ihre innere Stärke. Von Anfang an hatte er sich zu ihrem sanften Wesen hingezogen gefühlt. Jetzt erkennt er die stärkere Seite ihres Charakters, und es ist, als sähe er sie in einem völlig neuen Licht. Er will sie umarmen, aber für eine versöhnliche Geste ist es zu spät. Kühl lässt sie ihn gewähren und wendet dabei das Gesicht ab. Anschließend legt sie weiter Kleider in den offenen Koffer.
»Und was ist mit den Kindern?«, fragt er, wieder ruhiger.
»Was meinst du?«
»Hast du bei all dem auch an ihr Wohl gedacht?«
»O ja. Was glaubst du denn, warum ich das tue?«
»Aber sie leben sich gerade erst in ihrer Schule ein. Sie wollen bestimmt nicht wieder irgendwo ganz von vorn anfangen.«
»Das ist mir bewusst«, entgegnet sie aufgebracht.
»Findest du nicht, wir sollten wenigstens um ihretwillen zusammenbleiben?«
Jekaterina hält erneut im Packen inne und sieht ihm geradewegs in die Augen. »Du hast vielleicht Nerven!« Mit einer Wucht, die ihm beinahe Angst einjagt, bricht es aus ihr heraus: »Wann hast du denn in den letzten Monaten auch nur einen Gedanken an sie verschwendet?«
»Aber sie sind sehr sensibel in solchen Dingen. Das wird sie viel zu sehr aufwühlen«, beharrt er uneinsichtig.
»Das Bäumchen-wechsle-dich-Spiel in diesem Haus würde sie viel mehr aufwühlen, wenn sie noch länger hierblieben. Und genau deshalb bringe ich sie weg.« Ihre Stimme wird lauter, und die Zornesröte auf ihren Wangen vertieft sich. Er will etwas erwidern, aber sie gibt ihm keine Gelegenheit dazu. »Ist dir nicht klar, dass sie es wissen, Igor? Sie sagen es vielleicht nicht, aber tief in ihrem Inneren wissen sie, was hier los ist. Sie wissen, dass du mich nicht mehr liebst. Außer dir konnte niemand so blind sein.«
»Aber ich liebe dich doch.«
»Das genügt nicht!«
Jekaterina hat ihre Krise überstanden. Sie hat gelernt, allein zurechtzukommen, hat gelernt, ohne seine Liebe zu leben. Als er jetzt vor ihr steht und wieder zu ihr zurückwill, wird ihr einfach nur übel. Er ist unerträglich. Seine Liebe hat ihren Wert verloren, seine Zuneigung ist jämmerlich. Sie stößt ihn von sich. Eigentlich ist es ganz einfach: Sie will ihn nicht mehr auf die gleiche Weise wie früher.
»Was ist mit uns ?«
»Wen meinst du mit uns ?«
Die Frage bringt ihn aus der Fassung.
»Keine Angst.« Sie kann dem Drang nicht widerstehen,
ihn zu demütigen. »Ich werde deiner Mutter nichts davon erzählen, wenn es das ist, was dir Sorgen macht.«
»Mein Gott, Jekaterina!«
»Mein Entschluss steht fest, Igor. Morgen früh reise ich ab.« Sie schließt den Koffer und lässt die Schnallen zuschnappen. Die Geste hat etwas Endgültiges. »Wenn du uns besuchen willst, weißt du ja, wo du uns findest.«
Wie erstarrt steht er da. Am liebsten würde er ihren Koffer zur Tür hinausschleudern. Suchend sieht er sich nach etwas um, das er stattdessen am Boden zerschmettern könnte. Er ballt die Fäuste, um den Impuls zu unterdrücken.
Mit neuer Bestimmtheit packt Jekaterina den Zierat ein, der für sie beide ein gemeinsames Heim geschaffen hat. Bald wirkt das Zimmer kalt und ungemütlich. Zuletzt räumt sie die Gegenstände von ihrem Nachttisch weg: ein Foto ihrer Kinder, eine Ikone und eine lang gezogene perlmuttschimmernde Muschel.
Igor zieht sich in sein tröstliches Arbeitszimmer zurück. Er ist schockiert und bestürzt, außerdem ist ihm diese Entwicklung peinlich. Gleichzeitig weiß er, dass sein ganzer Ärger in Wahrheit nur vordergründig ist. Sein anfänglicher Zorn weicht allmählich der Überzeugung, dass es vielleicht gar nicht so schlecht ist, wenn Jekaterina abreist. Zwar versetzt die Tatsache, dass
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