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Coco Chanel & Igor Strawinsky

Titel: Coco Chanel & Igor Strawinsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Greenhalgh
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Ihre Undurchschaubarkeit macht ihn wahnsinnig. Manchmal kann er nicht einschätzen, was sie gerade denkt. Und manchmal weiß er nicht einmal, was er selbst gerade denkt.
    Draußen fällt weiter der Regen und sucht sich seinen Weg über die Dachziegel.
    Als er das Zimmer verlässt, hat er das Gefühl, einen unsichtbaren Vorhang zu passieren. Die Luft im Flur erscheint ihm kühler, das Licht greller.
    Verzagt geht er die Treppe hinauf, um sich einem weiteren Sturm zu stellen.
     
    Als Igor die oberste Stufe erreicht, sieht er, dass die Tür zu seinem Schlafzimmer geschlossen ist. Er drückt sie auf und sieht am Rand seines Gesichtsfelds seine Frau im Bett sitzen. Herausfordernd pfeift er die Melodie, die er gespielt hat, als Coco ohnmächtig wurde.

    Sie empfindet das als Hohn. »Lass dieses dämliche Gepfeife.«
    Er zieht es vor, nicht zu antworten, aber ein sturer Zug in seinem Wesen bricht sich Bahn. Er wird wütend. Er hat in gutem Glauben gehandelt. Jekaterina war es, die das Ganze durch ihre Humorlosigkeit zu einer Szene gemacht hat. Er geht ins Badezimmer. Indem er die Tür zusperrt, schließt er sie aus. Als er ein paar Minuten später wieder herauskommt, weiß er, dass er alles noch schlimmer gemacht hat.
    »Was hast du dir eigentlich da unten gedacht?«
    »Was meinst du?«, fragt er. Er zieht die Schuhe aus und öffnet seinen Gürtel.
    »Was hast du dir dabei gedacht, Coco den ganzen Abend anzustarren und sie dann auch noch zu umarmen?«
    »Red keinen Unsinn! Und sei nicht immer so besitzergreifend und eifersüchtig. Du hast einen wunderschönen Abend verdorben.«
    »Soll ich etwa ruhig zusehen, wie eine andere Frau vor meinen Augen mit meinem Mann flirtet?«
    »Und soll ich sie etwa rücklings fallen lassen, dass sie sich den Kopf anschlägt?«
    »Sie ist nicht gefallen, Igor. Sie hat sich fallen lassen!«, erwidert sie, als rede sie mit einem Kind.
    »Du machst dich lächerlich. Und du hattest nicht einmal den Anstand, sie zu fragen, ob es ihr wieder besser geht«, schiebt er hastig hinterher.
    »Sie zu fragen, ob es ihr wieder besser geht? Ich denke, die Antwort darauf kenne ich.«
    »Wie schön für dich!«
    »Was geht da zwischen euch vor, Igor?«, fragt sie nach einer Pause mit ruhigerer Stimme.
    »Nichts geht zwischen uns vor.«

    »Ach nein?«
    »Nein.«
    Er versucht, ihren Verdacht mit einem Lachen abzutun. Aber es klingt falsch in seinen Ohren. Obwohl gar nichts passiert ist, rinnt das schlechte Gewissen heiß durch seinen Körper. Er hat es sich bislang nicht eingestanden, aber es stimmt: Tief in seinem Innern spürt er ein heimliches Verlangen nach Coco. Seit ihrer Ankunft in Bel Respiro schmerzt ihn ein dunkles Sehnen. Aber er muss die Dinge nüchtern betrachten. Solange solche Gedanken abstrakt bleiben, sind sie harmlos. Es ist ganz natürlich, dass Männer und Frauen miteinander flirten, und es ist etwas vollkommen Alltägliches, wenn sie sich zueinander hingezogen fühlen. Das bedeutet noch lange nicht, dass auch etwas passieren muss. Er ist ein verantwortungsvoller Ehemann und Vater. Sieht Jekaterina das denn nicht? Er kann verstehen, dass sie sich bedroht fühlt, aber er ist der Ansicht, dass sie ihm vertrauen müsste, und es verletzt ihn, dass sie es nicht tut.
    »Ich warte auf eine Erklärung.« Der Zorn vibriert immer noch in ihr. Zorn, hinter dem sich eine weit größere Angst verbirgt.
    Um den Streit nicht unnötig in die Länge zu ziehen, geht er nicht auf ihre Vorwürfe ein. Er weiß, je mehr er sagt, desto stärker wird er sich verstricken. »Du regst dich völlig grundlos auf«, entgegnet er, während er sich weiter auszieht und seine Kleider mit übertriebener Sorgfalt zusammenlegt.
    »Sieh mich an«, sagt sie.
    »Was?«
    »Sieh mich an!«
    Widerstrebend begegnet er ihrem unverwandten Blick.
    »Du bist schuldig.« Ihre Züge verhärten sich. Ein Zittern läuft über ihr Gesicht.

    »Wovon redest du?«
    »Schuldig!«, kreischt sie schrill. Aus ihrer Stimme spricht ihr fester Glaube an die Existenz der Sünde. Ihre Wangen sind von religiösem Eifer gerötet. Ihr scheuer, frommer Blick hat sich für einen Moment in ein rächendes Funkeln verwandelt. Erregt zerrt sie an ihrem Bettlaken. »Ich sehe es dir an.«
    »Ach, ich bitte dich!«
    »Ich bin nicht so naiv, wie du glaubst, Igor.«
    »Können wir nicht einfach damit aufhören? Bitte. Du machst dich dadurch nur krank.«
    »Du bist derjenige, der mich krank macht.« Sie reißt sich zusammen und bemüht sich um einen vernünftigen,

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