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Coco Chanel & Igor Strawinsky

Titel: Coco Chanel & Igor Strawinsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Greenhalgh
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ruhigen Ton. »Ich kann nicht fassen, wie du dich aufgeführt hast - und das auch noch vor den Kindern. Was denken sie jetzt bloß von dir? Ein erwachsener Mann, der sich so einfach gehen lässt.«
    Erleichtert registriert er, dass sich der Fokus von ihm wegverlagert. Sein Ärger verwandelt sich in Selbstgerechtigkeit. »Sie denken gar nichts. Und damit haben sie auch recht. Vergiss nicht, dass wir hier zu Gast sind. Wenn sich jemand heute Abend peinlich benommen hat, dann du.«
    »Warum hat sie uns überhaupt eingeladen? Was will sie von uns?«
    »Ist es dir jemals in den Sinn gekommen, dass manche Leute einfach nur großzügig sind? Dass sie nichts von einem wollen?«
    »Sie interessiert sich doch nur für dich, weil sie mit dir angeben will. Der große Komponist! Ha! Wieder eine Stufe höher auf der gesellschaftlichen Leiter.«
    Er legt sich ins Bett. »Sie ist vielschichtiger, als du denkst.«
    »Warum ist sie dann nicht verheiratet?«, versetzt Jekaterina gekränkt. »So eine nette Dame?« Nach einer Pause, die
Igor bewusst nicht ausfüllt, beantwortet sie ihre Frage selbst. »Ich sage dir, warum. Weil kein reicher Mann sich auf ihr Niveau herablassen würde.«
    »Und ich bin ganz bestimmt nicht reich genug, wenn es das ist, was dir Sorgen bereitet.«
    Sein Scherz kommt nicht gut an. »Ich warne dich, Igor …«
    Jekaterinas Stimme verklingt. In der Stille, die auf ihre scharfe Erwiderung folgt, schaltet Igor die Nachttischlampe aus. Die plötzliche Dunkelheit macht ihrem Streit ein Ende. Ein vorwurfsvolles Schweigen breitet sich zwischen ihnen aus, anhaltend wie das Mondlicht, das sich über ihr Bett breitet. Sie liegen nebeneinander, ohne sich zu berühren, und legen sich im Geiste unwiderlegbare Argumentationen zurecht. Doch die Ansprachen bleiben ungehalten. Beide hören, wie der Atem des anderen schneller geht. Ärger nagt an ihnen. Für den Rest der Nacht liegen sie voneinander abgewandt wie zwei entgegengesetzte Cs.
     
    Im Zimmer nebenan liegt Théodore, ihr Ältester, immer noch wach. Er konnte zwar nicht verstehen, was seine Eltern sagten, aber es war offensichtlich, dass sie sich gestritten haben. Er ist es nicht gewohnt, sie streiten zu hören, deshalb ist er traurig. Vor allem seine Mutter war bisher immer so ruhig. Er versteht nicht, was los ist, aber er errät, dass es etwas mit Coco zu tun haben muss. Trotz regt sich in ihm. Er beschließt, dass er sie nicht mag. Außerdem beschließt er, dass es ihm hier nicht gefällt. Die Villa ist zu groß. Er hat sich daran gewöhnt, in kleinen Wohnungen zu leben. Obwohl sie dort eng aufeinanderhockten, waren sie einander nah, und die Familie gehörte zusammen. Hier fühlt er sich einsam und spürt eine diffuse Bedrohung. Die unwürdige Situation ihres Exils quält ihn, und er sehnt sich danach, frei zu sein. Er hält die
Augen in der Dunkelheit offen und lauscht gespannt. Aber jetzt ist plötzlich alles still.
     
    Coco hat die lauten Stimmen aus dem Schlafzimmer der Strawinskys bis ins Erdgeschoss herunter gehört. Auch sie lauscht, als sich die Stille auf das Haus herabsenkt. Mit einem Mal wird ihr bewusst, dass sie der einzige Mensch im Haus ist, der nicht zu einer Familie gehört. Sogar die Dienstboten sind verheiratet und haben ein Kind, Herrgott noch mal.
    Sie braucht frische Luft. Sie öffnet ein Fenster und riecht das nasse Gras. Der Geruch von sattem Grün vermischt sich mit dem Duft der Lilien auf dem Fensterbrett. Sie sieht, dass die Gewitterwolken weitergezogen sind, und am Himmel erstrahlen die Sterne so groß, dass sie zu schreien scheinen.
    Während sie nach draußen schaut, zieht sie mit dem Finger den Umriss ihrer Lippen nach. Sie atmet mehrmals tief ein. Dann geht sie, einem plötzlichen Impuls folgend, hinaus in den Eingang, nimmt den Telefonhörer in die Hand und wählt.
    »Misia?«
    »Coco? Bist du das?«
    »Ja.«
    »Es ist fast Mitternacht. Was ist los?«
    »Was weißt du über Jekaterina?«
    »Es wird langsam kompliziert, habe ich recht?«
    Coco stemmt eine Hand in die Hüfte. »Noch nicht. Ich muss nur ein paar Dinge wissen.«
    »Hat er dich schon geküsst?«
    »Was? Nein«, erwidert sie empört.
    »Will er denn?«
    Sie wickelt die Telefonschnur um ihren Finger. »Vielleicht.«
    »Und willst du ihn küssen?«

    »Er ist nicht attraktiv.«
    »Nein, aber er ist ein bedeutender Mann.«
    »Findest du?«
    »Alle sagen das.«
    »Deswegen will ich ihn trotzdem nicht verführen.«
    »Es ist dein Haus, Liebes. Du kannst tun und lassen, was du

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