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Coco Chanel & Igor Strawinsky

Titel: Coco Chanel & Igor Strawinsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Greenhalgh
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aufgegangen. Ihr Körper ruht an seinem, schlaff legt er seine Hand auf ihren Bauch. Ihre Fingerspitzen liebkosen die Haare in seinem Nacken. Schließlich stehen sie beide
auf. Als sie voreinander stehen, verschränkt sie in plötzlich wiedererwachter Schamhaftigkeit die Arme.
    »Verzeih mir«, flüstert er.
    »Weswegen?«
    »Ich konnte nicht anders.«
    »Habe ich dich schockiert?«, fragt sie.
    Als sie sich umdreht und nach ihrem Oberteil greift, sieht er, wie sich ihre Schulterblätter symmetrisch anspannen wie bei einem geflügelten Geschöpf.
    Seltsamerweise fällt ihm Beethovens letztes Streichquartett ein. In diesem Stück verlangt der Komponist vom Geiger, zwei Noten zusammen zu spielen, ohne sie voneinander zu trennen - seine einzige Anweisung dazu lautet, dass die zweite »mit Gefühl« gespielt werden solle, in einer Art hörbarem Schluchzen. Sein ganzes Leben lang hat sich Igor gefragt, was das zu bedeuten hat. Und jetzt, wie durch ein Wunder, weiß er es. Er hat dieses Schluchzen in seinem Innern gespürt, in den Bewegungen ihrer beiden Körper beim Liebesspiel.
    »Du bist schön«, sagt er und streicht mit dem Daumen über eines ihrer Lider.
    »Nein.«
    »Sehr schön.«
    »Hör auf.«
    »Das meine ich ernst.«
    »Hast du je mit einer anderen Frau außer Jekaterina geschlafen?«, fragt sie ihn nach einer Pause. Sie sieht ihn lächeln. »Ich meine, abgesehen von mir.«
    »Es ist mir nie in den Sinn gekommen, bevor ich dir begegnet bin.« Das entspricht nicht ganz der Wahrheit. Es ist ihm in letzter Zeit immer häufiger in den Sinn gekommen. Aber er hat immer Gottes rächende Hand gefürchtet, die
während des Aktes auf ihn niederfahren könnte. Er fürchtet sie immer noch. »Seit dem Tag habe ich es mir gewünscht.«
    »Ich auch«, sagt sie. Auch das ist eine Lüge. Erst in den letzten ein, zwei Wochen hat sich ihre Bewunderung für ihn in eine unbändige körperliche Anziehung verwandelt. Aber was sie noch eine Woche zuvor überrascht hätte, erscheint jetzt unausweichlich und notwendig.
    »Bist du dir sicher, dass ich reich genug für dich bin?«
    »Ich bin es gewohnt, mich zu amüsieren«, antwortet sie rätselhaft.
    Sie sieht, dass er etwas erwidern will, und legt einen Finger auf seine Lippen, um ihn davon abzuhalten. Am Ende des Flurs hören sie die Kinder, deren Nachmittagsunterricht zu Ende ist. »Ich muss gehen«, flüstert sie und zieht sich hastig wieder an. Sie bleibt kurz stehen und wirft ihm eine Kusshand zu, ehe sie leise hinaushuscht.
    Danach wischt Igor einen dünnen Staubschleier vom Klavier. Beim Öffnen des Klaviaturdeckels fühlt er sich an ein Pferd erinnert, das seine Lippen hochzieht und eine Reihe gesunder Zähne entblößt. Er neigt den Kopf dicht über die Tasten und fischt eine Weile in den tieferen Tonlagen.
    Musik strömt den restlichen Nachmittag über aus dem Arbeitszimmer.
     
    Erschöpft liegt Igor im Dunkeln neben seiner schlafenden Frau.
    Normalerweise schläft er auf dem Bauch, aber heute Nacht liegt er auf dem Rücken. Mit dem Gesicht nach unten hätte er Angst zu ersticken. Das sanfte Licht des Vollmonds lässt das Zimmer wie einen Brutkasten erscheinen. Seine Augen starren an die Decke. Seine Zehen zeigen nach oben. Seine leicht gekrümmten Hände liegen reglos an seiner Seite.
Er findet es drückend heiß. Stickig. Die Hitze drängt von außen gegen das Fenster, und hinter seinem Auge pocht ein Schmerz. Er spürt, wie sich alles in ihm zusammenzieht.
    Er fühlt sich furchtbar. Von seinen Eltern nach strikten moralischen Maßstäben erzogen, ist Treue für ihn eine unumstößliche Norm. Loyalität war für ihn immer ehernes Gesetz. Bei seiner Hochzeit hat er einen heiligen Eid geschworen. Und seit er diesen gebrochen hat, fühlt er, wie die Schuld, einer Flüssigkeit gleich, sein Blut anschwellen lässt. Doch wenn er sich fragt, ob er den Rest seines Lebens mit Jekaterina verbringen will, muss er sich eingestehen, dass die Antwort nein lautet. Hat er es nicht auch verdient, glücklich zu sein?
    Das Schuldgefühl wird durch die wilde Hoffnung verdrängt, dass Jekaterina es vielleicht nie zu erfahren braucht. Oder noch besser, sie könnte es mit der Zeit sogar akzeptieren. Aber vielleicht will Coco das nicht. Plötzlich durchzuckt ihn ein Gedanke: Was genau will Coco eigentlich? Ein flüchtiges Abenteuer? Eine dauerhafte Beziehung? Heirat? Ein flüchtiges Abenteuer wäre ihm zuwider. Er ist so verliebt, dass er mehr will. Aber eine Heirat: Das würde sein ganzes Leben

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