Coco Chanel & Igor Strawinsky
braucht er jemanden, der ihm hilft, ein bisschen mehr aus sich herauszugehen.«
»Vielleicht hast du recht.« Doch der fröhliche Ton in ihrer Stimme verfliegt. »Aber ich will einen Mann, der verrückt
nach mir ist, jemanden, der ohne mich nicht leben kann.«
Misia schaut sie an. »Glaubst du, ich nicht?«
Coco klemmt ihren Schläger zurück in den Spanner.
»Hier.« Misia wirft ihr schnell hintereinander zwei Bälle zu. Coco öffnet die Hände, um sie aufzufangen, und schließt sie anschließend darüber.
Scherzhaft schlägt Misia mit den Armen und imitiert den Flug einer Biene. »Bsss.«
»Ach, hör schon auf!«, sagt Coco. Dann legt sie die Bälle auf den Boden ihrer Tasche und zieht die Schnallen fest.
Kapitel 12
NICHTS RÜHRT SICH an diesem Nachmittag. Die Häuser der Region haben sich gegen die Hitze abgeschottet.
Die Läden in Igors Arbeitszimmer sind halb geschlossen. Licht sickert herein und zeichnet Schatten auf die Wände. Er spielt eine Melodie von Pergolesi und bemerkt nicht, wie Coco das Zimmer betritt.
Angelockt von den leisen Klängen des Klaviers, wurde sie wie eine Schlafwandlerin zu deren Ursprung hingezogen. Sie steht in einer Zimmerecke und beobachtet ihn. Ein weißes Leinenensemble betont ihre gebräunte Haut. Der Rock wird von einem dunklen Gürtel gehalten. Das durch die Fensterläden hereinfallende Licht zeichnet Streifen auf eine Hälfte ihres Gesichts. Ihre nackten Füße spüren die Kühle des Bodens.
Der Anblick von Igors Händen, die über die Tasten gleiten, entflammt nach und nach ihre Sinne. Als ihre Entscheidung gefallen ist, windet sie sich leise aus ihrem Rock und lässt ihn achtlos zu Boden fallen.
Plötzlich wird sich Igor ihrer Gegenwart bewusst, spürt ihre Nähe wie ein Tier. Er hört auf zu spielen, aber er dreht sich nicht um, sondern verharrt reglos mitten in der Bewegung, die Finger über den Tasten erstarrt. Er spürt ihren Körper wie Hitze in seinem Rücken. Zwei geschickte Hände gleiten verstohlen über seine Augen.
Erregend flüstert sie ihm etwas ins Ohr.
Er antwortet nicht und schließt mit übermenschlicher
Selbstbeherrschung den Deckel über den Tasten. Als sie zurückweicht, dreht er sich langsam um. Schweißperlen erscheinen auf seiner Stirn. Seine Kehle ist wie ausgedörrt, und seine Zunge fühlt sich an wie ein spröder Knochen. Von draußen dringt der Gesang eines Vogels herein und bohrt sich in sein Bewusstsein. Verblüfft sitzt er da, ihr zugewandt, die Hände keusch auf den Knien. Eine Weile blicken sie einander tief in die Augen. Dann zieht sie mit einem strahlenden Lächeln ihr Oberteil aus. Der Stoff verfängt sich in ihrem Haar. Ein paar vereinzelte Strähnen laden sich statisch auf und stehen hexenhaft ab. Mit irritierender Beiläufigkeit lässt sie das Oberteil die kurze Distanz von ihrer Hand auf den Boden fallen. Dann streift sie ohne sichtliche Eile ihre Unterwäsche ab. Er ist wie gelähmt vom Anblick ihres nackten Körpers.
Sie streicht ihr Haar glatt und dreht sich um. Sie weiß, dass sie ein Risiko eingeht, aber genau das ist es, was sie will. Sie hat lange darüber nachgedacht und ist zu dem Schluss gekommen, dass nur Offenheit und Ehrlichkeit zum Erfolg führen können. Trotz ihrer vermeintlichen Freimütigkeit fühlt sie sich verletzlich und kämpft gegen eine natürliche Schüchternheit.
Sie liegt bäuchlings auf der Chaiselongue, die Beine vom Körper abgewinkelt. Durch die Fensterläden fallen Lichtstreifen auf ihren Körper und zeichnen eine Klaviatur auf ihren nackten Rücken. Ihr Gesicht ist ihm zugewandt, ihr Kinn ruht auf einer Hand. »Na?«, sagt sie. In ihrer Stimme schwingt ein herausfordernder Unterton mit. Fast klingt sie verärgert.
Ein leises Summen hängt in der Luft, der geisterhafte Nachhall des Klaviers. Igor zögert, halb verwirrt, halb ängstlich.
Er weiß nicht, wie er reagieren soll. Wie durch Wasser bewegt er sich schwerfällig auf sie zu. Er hält einen Moment inne, sein Schatten verschluckt die Streifen auf ihrem Rücken. Auf seiner Nase kämpft seine Brille verzweifelt um das Gleichgewicht. Eine Fliege surrt und knistert in einer Zimmerecke.
Seine Finger kribbeln, als seien sie zuvor taub gewesen. Seine Beine scheinen ihn kaum noch zu tragen. Etwas verfängt sich in seiner Kehle, sodass er kaum noch Luft bekommt. Es ist Irrsinn, denkt er. Aber sein Brustkorb scheint mit einem Mal fast zu platzen, und in seinem Kopf rauscht das Blut. Und schließlich, wie ein Stück Gummi, das gedehnt, immer
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