Coco Chanel & Igor Strawinsky
bilden.
Die Frauen kommen in weißen Baumwollkleidern und breitkrempigen cremefarbenen Hüten nach draußen. Anders als die beiden Männer sind sie elegant herausgeputzt.
Nachdem sie sich ein paar Minuten eingespielt haben, beginnt die Partie. José bewegt sich schwerfällig über das Spielfeld und kommt nur selten vor ans Netz, aber wenn er gut steht, spielt er hart. Er hat eine beeindruckende Vorhand, die dem Gegner die Bälle um die Ohren fliegen lässt, wenn er sie richtig einsetzt. Igor ist schneller und wendiger; er hat ein gutes Gespür, und was ihm im Vergleich zu José an Kraft fehlt, gleicht er durch größere Treffsicherheit aus.
Ihm fällt auf, dass Coco ihren Schläger merkwürdig hält, und manchmal schafft sie es nur mit Mühe, seinen Aufschlag in einem schwachen Bogen übers Netz zurückzubringen. Trotzdem gelingen ihr ein paar geschickte Schläge und ordentliche Flugbälle, und ihr Timing ist meist recht gut. Wenn er zu ihr zurückspielt, schlägt er weniger fest als bei José. Und zweimal gibt er, als ihr eine zwar schöne, aber etwas zu lange Rückhand gelingt, den Ball wider besseres Wissen gut.
Als Misia das bemerkt, zwinkert sie ihm zu seiner Bestürzung zu. Er tut so, als hätte er nichts gesehen. Aber sie täuscht sich, wenn sie glaubt, er sei ein leichtes Opfer. Wenn er spielt, will er auch gewinnen. Von jetzt an rennt er jedem Punkt hinterher, bis seine Adern anschwellen und zu platzen drohen. Er schlägt immer härter auf den Ball ein, als wollte er ihn bestrafen.
Es ist heiß, und er schwitzt stark. Der Griff seines Schlägers
wird feucht und rutschig. Als hätten sich seine Energiereserven verdoppelt, jagt er jedem Ball nach und verausgabt sich über alle Maßen. Im Vergleich zu ihm wirken die anderen schwerfällig. Mit der Zeit beginnt er, Josés Langsamkeit skrupellos auszunutzen. Mehrere perfekt platzierte Stoppbälle dienen nur dazu, ihn möglichst aus der Puste zu bringen.
»Was ist denn mit dem los?«, fragt José. »Spielt der immer so?«
Beim Stand von eins zu eins, mitten im hart umkämpften Finalsatz, streckt sich Igor nach einem von Josés peitschenden, unhaltbaren, kreidestäubenden Aufschlägen. Der Ball trifft seinen Schläger mit einem melancholischen Ping. Im darauffolgenden hitzigen Ballwechsel spürt er, wie die Elastizität und Spannung des Schlägers nachlässt. Seine Schläge verlieren ihre Schärfe, erzeugen ein dumpfes Geräusch. Als er den Schläger untersucht, entdeckt er eine gerissene Saite, die sich jämmerlich kräuselt, als er sie herauszieht. Er hebt den Schläger hoch, um ihn seinen Gegnern zu zeigen.
Die Partie wird abgebrochen und unentschieden gewertet.
»Na, was sagst du?«, fragt Coco. Erschöpft lässt sie sich im Umkleideraum neben Misia auf die Bank fallen.
Misia richtet träge die Saiten ihres Schlägers aus. »Er ist ein guter Tennispartner, so viel ist sicher.«
»Komm schon«, drängt Coco.
»Wenn er etwas macht, dann offensichtlich mit vollem Einsatz.«
»Er gibt keinen Punkt verloren, nicht wahr?«
»Er jagt gern die Dinge, die er haben will.«
Coco sieht zu ihr hinüber. »Und was soll das jetzt wieder heißen?«
Misia ist vielleicht mit den Jahren um die Taille herum etwas fülliger geworden, aber sie strahlt noch immer die Aura und freimütige Energie einer männermordenden Verführerin aus. »Nichts«, antwortet sie flötend. »Aber keiner von uns wird jünger, Liebes. Du musst auch jagen, wenn du etwas haben willst.«
»Das ist ja Teil des Problems«, entgegnet Coco verzagt. »Ich weiß nicht, was ich will.« Es fällt ihr schwer, der inneren Stimme zu widerstehen, die ihr unablässig einflüstert, dass er der Richtige sein könnte. Er ist talentiert und kultiviert. Er verfügt über intellektuelles Gewicht und jenes zutiefst künstlerische Einfühlungsvermögen, das ihr gefällt. Es ist weniger Verliebtheit, die sie zu ihm hinzieht, als eine tiefe Seelenverwandtschaft. Und mit jedem Tag wird der Ruf lauter. »Ich ändere ständig meine Meinung. Ich muss mir doch sicher sein.«
»Seiner sicher oder deiner?«
»Was ich nicht verstehe, ist …« Sie zögert.
»Was denn?«
»Wie kann jemand so musikalisch sein und dabei gleichzeitig so emotionslos?«
»Er will, dass die Menschen ihn mögen, siehst du das nicht?«
»Ich bin mir sicher, es wäre ihm lieber, wenn sie seine Musik mögen würden. Alles andere ist zweitrangig. Das sagt er jedenfalls immer.«
»Er ist bloß schüchtern.«
»Glaubst du?«
»Vielleicht
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