Coco Chanel & Igor Strawinsky
ihnen zusammen ist, spürt sie, wie sie innerlich völlig taub wird - so wie ein Körper im Schockzustand alle Funktionen bis auf die lebensnotwendigen einstellt. Die einzige Möglichkeit zur Flucht bietet sich ihr sonntags, wenn sie in die Kirche geht.
Da sie selbst kaum über eigene Mittel verfügt, ist sie vorläufig ganz auf Cocos finanzielle Unterstützung angewiesen. Coco, mit ihren Salons, ihrem Rolls-Royce, ihrer Villa und ihren Dienstboten. Jekaterina hat das Gefühl, in der Falle zu sitzen. Sie fühlt sich isoliert, geschändet und verraten. Die Bediensteten huschen auf Zehenspitzen um sie herum wie um eine Bombe, die jederzeit explodieren könnte. Die Kinder spüren instinktiv, dass sie leidet und etwas sie quält, und trotzdem muss sie ihnen versichern, dass alles in bester Ordnung sei.
Obwohl vor allem Théodore in der letzten Zeit sehr mürrisch war, erkennt Igor nicht, dass die Kinder sich hier nicht wohlfühlen. Und was Jekaterina betrifft, überzeugt er sich selbst so sehr von seiner Diskretion, dass er tatsächlich glaubt, sie könne unmöglich Verdacht schöpfen. Es scheint, als hätte er, geblendet von seinem Verlangen, nicht einmal den Eindruck, etwas Unrechtes zu tun. Daher kann er auch, wenn sie ihn mit ihren Zweifeln konfrontiert, diese mit einem Lachen als Verfolgungswahn abtun, ihr vorwerfen, sie rede Unsinn, und sie auffordern, nicht so besitzergreifend zu sein. Und sie will ja an seine Unschuld glauben. Deshalb lässt sie sich, wider besseres Wissen, jedes Mal aufs Neue hinters Licht führen. Aber es gelingt ihr niemals ganz, ihre Ängste zum Schweigen zu bringen.
Wenn sie weiter in ihn dringt, reagiert Igor missmutig und verbringt immer widerwilliger Zeit mit ihr. Und auch Coco hält sich trotz aller Höflichkeit zunehmend von ihr fern. Wie kann sie die Frau, dank deren Großzügigkeit sie hier mietfrei leben, einer Affäre mit ihrem Ehemann beschuldigen? Welche Folgen hätte das für sie? Was, wenn es doch nicht wahr wäre? Was, wenn Igor recht hätte: dass sie sich in ihrem Fieberwahn eine komplizierte Verschwörung zusammenfantasiert, die in Wirklichkeit gar nicht existiert?
Und trotzdem rinnt schleichend das Gift des Argwohns durch ihre Adern. Den beiden zuzusehen, wie sie beim Abendessen ihr geheimes, wortloses Schauspiel aufführen, ist eine fast unerträgliche Folter. Unter dem Tisch kneift sie sich fest in den Arm. Der Schmerz lenkt sie ab und verleiht ihren Qualen den Anschein des Märtyrertums.
Wenn in den darauffolgenden Tagen das Klavier verstummt und Stille durch das Haus quillt, schaut Joseph nicht mehr von seinen Aufgaben auf, Marie fährt fort, das Haus zu putzen,
und die Kinder spielen unbeirrt weiter. Die Hunde, die Katze und die Vögel neigen nur noch kaum merklich den Kopf.
Für den Rest der Hausbewohner wird der blinde Fleck zu einem normalen Bestandteil des Nachmittags. Aber für Jekaterina, die, fest in ihre Laken gehüllt, allein in ihrem Zimmer liegt, ist die Stille wie ein glühendes Eisen, das sich in ihr Bewusstsein bohrt. Angespannt horcht sie und zieht die Knie an ihre rasselnde Brust.
Kapitel 14
DIE MEDIZIN, DIE der Arzt Jekaterina verschrieben hat, macht sie tatsächlich benommen. Darüber hinaus führt sie, obwohl sich Jekaterina sonst nur selten an ihre Träume erinnert, zu einer Reihe sehr intensiver, verstörender Albträume, von denen dieser der erste ist:
Sie sieht Cocos Appartement über ihrem Salon in der Rue Cambon. In ihrem Traum sitzt Coco an einem Tisch, eingerahmt von den Tageseinnahmen, die gerade nach oben gebracht wurden. Schwere Säcke voller Münzen und dicke Bündel Scheine. Draußen ist es dunkel. Im Laden ist es still, und Coco ist allein. Sie fängt an, das Geld zu zählen, häuft die Münzen aufeinander und streicht die Scheine zu sauberen Stapeln glatt.
Unangekündigt kommt Igor die Treppe herauf. Jekaterina sieht, dass er es ist, kein Zweifel ist möglich. Coco hört auf zu zählen. Die beiden ziehen sich aus. Dann rafft Coco die Geldscheine zusammen und wirft sie gemeinsam mit Igor jubelnd in die Luft, sodass sie wie Herbstlaub in dichtem Gestöber wieder herunterfallen. Bald ist die Wohnung mit einem Teppich aus zerknüllten Scheinen bedeckt. Der ganze Traum ist still, aber die Bewegungen ihrer Lippen verraten ihr, dass sie lachen.
Danach sieht sie die beiden nackt auf dem Boden liegen und miteinander schlafen. Sie wälzen sich auf den Scheinen. Das Geld klebt an ihren schweißnassen Rücken, blättert ab wie
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