Coco Chanel & Igor Strawinsky
ihre Gärten und Paläste. Es erinnert ihn an Sankt Petersburg.
Regelmäßig besucht er das Büro von Pleyel, wo er seine Transkriptionen für mechanisches Klavier abgibt und die Bestellungen für weitere Arbeiten entgegennimmt. Es ist eine lukrative Tätigkeit, findet er. Zwar nicht besonders anregend, aber dafür geht sie ihm leicht von der Hand. Und was noch wichtiger ist, sie gibt ihm eine Ausrede, hier zu sein, in Paris, bei Coco. Und dafür ist er dankbar.
Während sie ihrer Arbeit nachgeht, schlendert er durch
die Tuilerien und trinkt Kaffee in einem der nahe gelegenen Cafés. Anschließend geht er zurück in Cocos Wohnung über dem Laden, wo sie miteinander schlafen.
Eines Nachmittags überrascht sie ihn mit einem Geschenk.
»Na, was haltet ihr davon?« Igor hat den Kindern erlaubt, in sein Arbeitszimmer zu kommen, um ihnen sein neues Spielzeug zu zeigen.
»Was ist das?«, fragt Milena und legt den Kopf auf die Seite.
»Ein Pianola«, antwortet Soulima.
»Schaut her!«, sagt Igor. Seine Augen blitzen wie die eines Zauberers, der sich anschickt, aus dem Nichts Musik heraufzubeschwören. Er zieht das Instrument auf. Als er den Griff loslässt, setzt die Musik ein. Etwas flach vielleicht, und der Rhythmus scheint zum Ende eines Umlaufs hin etwas schleppender zu werden, ehe er am Beginn des neuen wieder anzieht, aber trotzdem klingt alles munter und fröhlich. Er erinnert sich an Cocos Bemerkung, solche Klänge höre man sicher auch in einem Bordell.
Unsichtbare Finger drücken die Klaviertasten nieder. Eine perforierte Notenrolle dreht sich auf einem Zylinder in der Mitte der Front. Die Kinder sind fasziniert. Als würden sie Zeuge eines Wunders, rücken sie mit offenem Mund immer näher.
»Vorsicht - fasst es nicht an!«
»Wie funktioniert es?«, fragt Théodore, den der vermeintliche Zauberapparat aus seinem üblichen Missmut gerissen hat.
»Seht ihr diese Rolle?« Die Kinder beobachten, wie sich die dicke Rolle aus perforiertem Papier dreht. »Nun, die kleinen Löcher übermitteln den Tasten die Information, welche
Noten gespielt werden sollen. Das ist eine ausgeklügelte Technik.«
Igor freut sich darüber, dass das Instrument seine Kinder interessiert. Jekaterinas Vorwurf, er verbringe nicht genug Zeit mit ihnen, hat ihn verletzt. Sie sagt, dass Théodore schlecht schläft, das bekümmert ihn, außerdem hat sie ihm erzählt, dass es den anderen an Geborgenheit mangelt. Ihm wird bewusst, wie distanziert er in letzter Zeit geworden ist, wahrscheinlich weil er sie unbewusst vor seinem geheimen Leben schützen will. Dieser Nachmittag ist ein Versuch, sein Verhältnis zu ihnen wieder in Ordnung zu bringen, ihnen zu beweisen, dass er sie liebt.
»Na, was haltet ihr davon?«, wiederholt er.
»Mir gefällt es«, sagt Milena.
»Aber da gehen zu viele Tasten gleichzeitig runter«, beschwert sich Ludmilla.
»Das macht seinen Reiz aus.«
Er erklärt ihnen, dass man die Lochstreifen so codieren kann, dass es dem Spiel von vier, acht oder sogar noch mehr Händen entspricht.
»Vier Hände, aber kein Gefühl«, murrt Soulima, den das Gerät weniger beeindruckt als die anderen. In den vergangenen Wochen haben sich unzählige Sommersprossen auf seiner Nase und seinen Wangen gebildet. Sie scheinen seine Missbilligung zu unterstreichen.
»Du hast recht, man kann weder das Tempo noch die Lautstärke so stark variieren, wie man das beim Spielen tut. Aber es ist sehr praktisch, um Sachen auszuarbeiten, ohne gleich viele Stimmen einstudieren zu müssen. Und man braucht die Musiker nicht zu bezahlen.«
»Ich finde es toll!«, sagt Milena.
»Ich auch«, bestätigt Igor.
»Ist es teuer?« Théodore denkt von Tag zu Tag praktischer. Sein Körper ist schnell gewachsen. Obwohl seine dünnen, jugendlichen Beine immer noch in kurzen Hosen stecken, ist er mittlerweile nur noch ein paar Zentimeter kleiner als sein Vater. Seine Schlaksigkeit lässt ihn sogar noch größer wirken, als er bereits ist.
»Ja.«
Théodore lässt nicht locker. »Wie können wir uns das leisten?«
»Das haben wir Coco zu verdanken«, sagt Igor. Das leise Zögern in seiner Antwort verrät sein Unbehagen. Sein Lächeln hat etwas Gezwungenes.
Von allen Kindern scheint nur Théodore diese Vorstellung zu stören. Vielleicht weil er den heimlichen Groll seiner Mutter spürt, war er Coco gegenüber von Anfang an misstrauisch. Als Ältester ist er sich der Abhängigkeit seiner Familie von ihrer Gastgeberin am stärksten bewusst. Und die
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