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Coco Chanel & Igor Strawinsky

Titel: Coco Chanel & Igor Strawinsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Greenhalgh
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Scheinwerferlicht leuchten Insekten auf, bevor sie im nächsten Augenblick gegen die Frontscheibe prallen. Für den Bruchteil einer Sekunde sieht sie einen Fuchs. Dann hört sie ein Geräusch, einen gedämpften Aufschlag. Womöglich, ja ganz sicher haben sie ihn erfasst. Unwillkürlich zuckt sie zusammen und ballt die Fäuste. Niemand sagt etwas, nicht einmal der Fahrer, der die Anspannung in seinem Rücken spüren muss. Ein fürchterlicher Geschmack erfüllt ihren Mund.
    Als sie endlich in die Auffahrt einbiegen, scheint das Haus unter Schatten begraben zu liegen. Nur in Jekaterinas Zimmer brennt noch Licht. Einen Moment glaubt Igor, einen dunklen Umriss zu erkennen, dann - und diesmal ist er sich sicher - sieht er, wie die Vorhänge rucken und zugezogen werden.

Kapitel 19
    KLICK. BLASS UND ausgezehrt steht Jekaterina da, die Brust flach gegen ein Röntgengerät gepresst. Ihr Zustand hat sich während der vergangenen Wochen stetig verschlechtert, und der Arzt hat ihr geraten, ein Krankenhaus in Paris aufzusuchen, um ihre Lungen röntgen zu lassen. Mit versteinerter Miene wappnet sie sich, als erwarte sie einen Schlag.
    Später ruft sie der Radiologe in sein Büro, um sie mit dem Anblick ihres eigenen Inneren zu konfrontieren. »Die gute Nachricht ist, sie galoppiert nicht«, sagt er.
    Nacheinander schiebt er die Röntgenaufnahmen vor einen leuchtenden Schirm. Sie betrachtet die Bilder, diesen kurzen Ausblick auf das Unsichtbare, mit einer gespenstischen inneren Ruhe. Vor sich sieht sie ihren Körper in seiner ganzen Stofflichkeit. Ein verborgenes Gerüst aus weißen Knochen. Schwärze füllt das Vakuum zwischen den Rippen, abgesehen von diesen durchscheinenden Säcken, die wie Quallen aussehen und bei denen es sich offenbar um ihr Herz und ihre Lunge handelt. Doch am meisten verstören sie die dunklen, leeren Räume, in denen es nirgendwo eine Seele zu geben scheint.
    »Wie Sie jedoch sehen können, hat sich die Tuberkulose langsam, aber sicher festgesetzt.«
    Der Arzt deutet auf die weißen Wirbel, die ihre Lunge trüben. Sie ist wie betäubt, und kaum etwas von dem, was er sagt, dringt zu ihr durch. Unbehaglich vermischt sich Entsetzen mit einem Gefühl der Magie angesichts dessen, was
sie sieht. Eisige Kälte rinnt durch ihren Körper und lässt sie erschauern.
    Als sie näher herantritt, um besser zu sehen, kann sie dem Drang nicht widerstehen, die Aufnahmen vor dem Schirm zu berühren. Was sie am meisten fasziniert und schockiert sind nicht die weißen Schatten auf ihrer Lunge. Ihren eigenen langsamen Verfall in einer Aufnahme eingefroren zu sehen ist eine viel zu unwirkliche Vorstellung, als dass sie sie tatsächlich erschrecken könnte. Nein, was sie am stärksten beeindruckt, ist der Anblick ihrer linken Hand, die sich auf eine der Aufnahmen geschlichen hat. Zögernd legt sie ihre Hand auf ihr hautloses Abbild, Finger auf düsteren Finger. Und dann bemerkt sie den Ehering, der in hellem Negativ um den dürren Mittelfinger schwebt und den weißen Knochen wie ein Heiligenschein umschließt.
    Geisterhaft hängt er in der Luft. Ihr ist, als hätte sie Schicht um Schicht ein Geheimnis durchdrungen und nun die Wahrheit freigelegt. Aber wenn das hier eine Offenbarung ist, dann ohne Gnade. Sie geht nicht einher mit einem erhebenden Gefühl, mit Glanz oder Glückseligkeit. Ganz im Gegenteil, sie spürt, wie etwas sie nach unten zieht. Sie wird sich ihrer eigenen Sterblichkeit deutlicher bewusst als je zuvor. Und das erfüllt sie mit Furcht.
    Sie versucht sich vorzustellen, dass Gott im Kalzium dieser Knochen lebt. Aber diese beiden Dinge - die Röntgenaufnahme vor ihr und die Existenz Gottes im Himmel - erscheinen ihr in diesem Moment vollkommen unvereinbar. Kein Gott, stattdessen nur ein gewaltiges Nichts, eine entsetzliche Lücke, eine letzte Leere, die sie verschlingen will.
    Sie hat sich immer an die Überzeugung geklammert, dass da draußen etwas ist - etwas Mächtiges und hartnäckig Undurchschaubares, aber gleichzeitig auch Herrliches und unvorstellbar
Gutes. Diese Überzeugung ist etwas, an dem sie sich festhalten kann, ein Trost, eine Beruhigung, wie das kleine edelsteinbesetzte Kreuz an ihrem Hals. Bis jetzt hat ihr dieser Glaube die Hoffnung geschenkt, dass es außer diesem elenden, einsamen, beklagenswerten Leben noch etwas anderes gibt. Aber was, wenn danach nichts mehr kommt? Dieser Gedanke macht ihr Angst. Die Vorstellung, einfach zu vergehen, erscheint ihr grauenvoll. Ihr goldener Ring kommt ihr vor

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