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Coco Chanel & Igor Strawinsky

Titel: Coco Chanel & Igor Strawinsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Greenhalgh
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Situation erfüllt ihn mit instinktivem Groll. Er findet sie erniedrigend und unwürdig, ein Affront gegen seine aufbrechende Männlichkeit. Seine groben, fast mongolischen Züge verhärten sich. Seine Lippen werden ein wenig schmaler. Für einen Moment scheint die Luft zwischen Vater und Sohn ein Stoff zu sein, der zerreißen könnte.
    »Hat sie auch die Grammofonplatten gekauft?«, fragt Ludmilla arglos.
    Igor wird das Herz schwer. »Ja, das hat sie.«
    »Können wir sie noch einmal hören?«
    »Später, später …«
    Igor will unbedingt, dass die Präsentation des Pianolas ein Triumph bleibt. Er wird nicht zulassen, dass Théodores schlechte Laune den Moment verdirbt. Um die Kinder zu amüsieren, legt er die rechte Hand unter seine linke Achsel
und quetscht sie im Takt. Die schnelle Bewegung seines Arms erzeugt eindeutiges schmatzendes Geräusch. Alle lachen, bis auf Théodore.
    Igor hört auf. Um seinen fast vierzehnjährigen Sohn zu besänftigen, legt er ihm den Arm um die Schultern. Zum ersten Mal bemerkt er den Flaum über seiner Oberlippe. »Wenn ich dich so ansehe, mein Sohn, weißt du, was ich da denke?«
    Théodore hat sich wieder in seine übliche unwirsche Art zurückgezogen. »Was?«
    Igor lächelt breit. Er hat eine Idee. »Ich denke, es wird Zeit, dass wir beide unser erstes Bier zusammen trinken. Was hältst du davon?«
    Théodores Miene hellt sich auf. Soulima erstarrt in stummer Ehrfurcht, und die beiden Mädchen strahlen ihren großen Bruder an, dessen Lippen sich unwillkürlich zu einem verschämten Lächeln verziehen.
    »Komm mit, lass uns etwas trinken gehen. Und für die anderen gibt es einen Krug Limonade.«
    »Hurra!«, schreit Milena.
    Während das Pianola in seinem Arbeitszimmer weiter vor sich hin spielt, führt Igor seine Kinder in die Küche, um das neue Ritual zu vollziehen.

Kapitel 21
    COCO UND IGOR sitzen spätabends im Licht einer Außenleuchte auf dem Balkon. Es ist inzwischen Anfang September, aber das Wetter ist immer noch gut. Rauchend unterhalten sie sich, während Mücken wie von Sinnen durch den grellen Lichtkreis der Lampe schwirren.
    »Verdammte Viecher!«, schimpft Igor und schlägt um sich.
    Coco legt sich einen schwarzen Angorapullover um die Schultern. Ihre Finger spielen mit der Perlenkette an ihrem Hals. »Sieh nur die Sterne!«, sagt sie. »Sie zittern!« Sie schiebt die Perlen zu ihren Lippen hoch und knabbert auf ihnen herum.
    Es stimmt. Je länger sie hinaufschauen, desto mehr scheinen die Sterne zu wackeln, zu tanzen wie mikroskopisch kleine Tierchen in einem Teich. Feierlich prangen die Sternbilder am Himmel. Igor starrt ein paar Sekunden hinauf und versucht, die unsichtbaren Fäden zu erkennen, die sie verbinden. Er lauscht ihrer Musik, einem himmlischen Insektensummen.
    »Wenn du auf die Stadt hinabschaust, sieht es ähnlich aus.«
    In der Ferne sehen sie den bernsteinfarbenen Schein der Hauptstadt zum Himmel aufsteigen. Links neben Igor bildet Cocos Gesicht einen herzförmigen Schatten.
    »Die Sterne über uns und die Stadt zu unseren Füßen. Was könnte man sich mehr wünschen?«
    »Als ich noch ein Kind war, habe ich davon geträumt, nach Paris zu kommen«, sagt Igor.

    Coco zieht an ihrer Zigarette. »Und jetzt würdest du am liebsten wieder nach Russland zurückkehren?«
    »Es gibt Dinge, die ich vermisse«, antwortet er, ein Weinglas in der Hand bergend.
    »Was denn zum Beispiel?«
    »Meine Mutter. Freunde. Mein Klavier. Mein Haus. Und den Frühling, wenn das Eis schmilzt und die Erde plötzlich knackend und knirschend wieder zum Leben zu erwachen scheint. Dann fühlt man sich, als ob man selbst wieder lebendig wird.«
    Ein Windstoß rüttelt an der Tür. Das Licht flackert kurz, Blätter rascheln leise. Er beugt sich vor, hebt eine halb leere Flasche Rotwein vom Boden auf und hält sie in Cocos Richtung. Als sie eine Hand auf ihr Glas legt, zuckt er mit den Schultern und schenkt sich selbst nach. Der Wein wirkt schwarz im Mondlicht.
    »Du hast mir nie erzählt, wie du sie kennengelernt hast.«
    Bis jetzt haben sie es vermieden, über seine Frau zu sprechen. Er hat von Anfang an deutlich gemacht, dass er nicht über dieses Thema reden will. Und Coco hat ihm seinen Willen gelassen. Die physische Tatsache ihrer Anwesenheit in einem der Schlafzimmer im Obergeschoss war schon genug, womit sie klarkommen musste, und es hat Coco eine gewaltige, unausgesprochene Willensanstrengung gekostet, ihre Gegenwart weitgehend zu ignorieren. Doch inzwischen kommt es

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