Coco Chanel & Igor Strawinsky
abgestoßen. Atom für Atom scheint sie zu zerfallen, während bei Coco immer ein Schimmern da ist, ein Funke, der ihm nicht nur ihre eigene Existenz bestätigt, sondern auch die seine. Er kann nicht mehr tun, als seine Frau ausdruckslos anzusehen und zu hoffen, dass sie ihn versteht.
Jekaterinas Augen füllen sich mit Traurigkeit. Ihre Kopfhaut spannt sich unter dem Druck ihrer Gedanken. Sie bürstet weiter ihr Haar mit knappen, energischen Strichen. Aber die unnötig gewordene Geste hat jetzt etwas Mechanisches. »Warum hasst du mich?«, fragt sie und wirft die Bürste aufs Bett. Sie wünscht, die Geste werde ein lautes Geräusch erzeugen,
aber die Bürste trifft bloß mit einem dumpfen Aufprall auf die Decke.
»Ich hasse dich doch nicht.«
»Was habe ich falsch gemacht?« In ihrer Frage liegt so viel Hitze, dass ihre Zunge fast zu verbrennen scheint.
»Du hast nichts falsch gemacht.«
»Ich will doch nicht krank sein, verstehst du das nicht?«
»Ich weiß.«
Schuldgefühle überrollen ihn. Die Luft ringsum scheint plötzlich dünn zu werden. Widerstrebend streckt er eine Hand aus und streichelt jämmerlich ihre Wange.
In ihrem verletzlichen Gesicht erhascht er plötzlich einen flüchtigen Blick auf das junge Mädchen - die tugendhaft gespitzten Lippen, die funkelnden Augen. Aber er sieht, dass die Lippen ihre Konturen verloren haben, und aus den Augen scheint jedes Leuchten herausgewaschen worden zu sein.
»Empfindest du noch etwas für mich?«, fragt sie, und ihre Stimme klingt wieder ruhiger.
»Natürlich.«
»Ist sie denn so anders?«
Er blickt in sein Inneres und versucht, ehrlich zu sein. »Nein.«
»Sie versteht nichts von deiner Musik. Sie sammelt Menschen. Siehst du das nicht?«
»Das ist ein hartes Urteil.«
Sie schweigt einen Moment. »Du bist nicht du selbst, wenn du mit ihr zusammen bist, weißt du das?«, sagt sie dann.
»Ach?«
»Du wirst zu jemand anderem.«
»Du hast uns doch nie gesehen, wenn wir allein sind.«
Die Antwort ist ihm herausgerutscht. Und mit ihr ein unausgesprochenes
Geständnis. Ihr Blick wird schärfer. Er will noch etwas sagen, die Enthüllung, die in seiner unbedachten Antwort mitschwingt, verwischen.
Aber sie ergreift die Gelegenheit. »Bist du in sie verliebt, Igor?«
Seine Lippen bemühen sich, eine Antwort zu formen. Vergeblich versucht sein Mund, die richtigen Worte heraufzubeschwören. Hilflos weicht er ihrem Blick aus. Angewidert stößt sie ihn von sich.
Das Flehen in ihrem Blick weicht einem Ausdruck von Groll und Schmerz. All die winzigen Feindseligkeiten ihres Lebens werden vergrößert und in diesem einen Moment gebündelt. Jede kleine Folter, die sie bei den Mahlzeiten erlitten hat, jede flüchtige Berührung von Cocos und Igors Knie, die Qualen, die ihr jedes verschwörerische Lächeln bereitete, fließen ein in die Mischung aus Schmerz und Demütigung, die sich jetzt in ihren Zügen spiegelt.
»Du widerst mich an!«
»Es tut mir leid«, antwortet er ungeschickt.
Die Energie, die sie für ihren Versöhnungsversuch aufgebracht hat, bricht sich in Bitterkeit Bahn. »Warum spielst du mir etwas vor? Was glaubst du, wen du hier zum Narren hältst? Behandle mich gefälligst nicht wie eine Idiotin!«
Diesmal denkt Igor nach, bevor er antwortet. »Es ist nicht so, dass ich dich nicht mehr liebe.«
»Bitte versuch nicht, dein Verhalten zu rechtfertigen, Igor.«
»Du bist immer noch meine Frau.«
»Was für eine Ehre.«
»Jekaterina … versuch doch zu verstehen …«
»Ich verstehe nur allzu gut.«
»Ich habe versucht, dich nicht zu verletzen.«
»Soll ich dir dafür etwa dankbar sein?«
»Was soll ich denn noch sagen?«
»Du könntest sagen, dass es dir leid tut.«
»Es tut mir leid«, sagt er. Aber das tut es nicht, zumindest nicht aufrichtig.
»Du würdest dich nicht so aufführen, wenn deine Mutter hier wäre«, schleudert sie ihm entgegen. »Praktisch für dich, dass sie immer noch in Russland festsitzt, nicht wahr?«
Igor bleibt aufrecht und reglos auf dem Bett sitzen. Er sagt kein Wort, die Bemerkung über seine Mutter hat ihn verletzt. Natürlich stimmt es. Ehebruch und Exil sind miteinander verknüpft. Durch die Verbannung verloren auch die üblichen Verbote, die bis dahin sein Verhalten bestimmt hatten, ihre Gültigkeit. Entwurzelung gewährt gewisse Freiheiten, gestattet Dinge, die zuvor undenkbar waren. Als strenge moralische Instanz war seine Mutter für ihn stets eine Art Gewissen. Er würde ihr nie etwas Schlechtes
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