Code Delta

Sie doch bloß auf.« Sie blieben vor einem großen grünen Schild am Tunneleingang stehen. »Nur, damit wir uns nicht missverstehen, sie meinen Magie, richtig? Zaubersprüche und so?«
    Er wäre nicht von selbst darauf gekommen, Ridleys Fähigkeiten als Magie zu beschreiben, aber wenn er so darüber nachdachte, handelte es sich genau darum. Und damit kam ihm die Erleuchtung, dass allen Legenden über Magie möglicherweise diese uralte Sprache zugrunde lag. Vielleicht hatte es einige echte Magier gegeben, die bestimmte Phrasen davon beherrschten und damit unglaubliche Dinge zustande gebracht haben.
    »Aye«, sagte King. »Aber vor allem Zaubersprüche. Gibt es da eine Verbindung zu Stonehenge?«
    »Die existiert tatsächlich«, sagte sie mit glänzenden Augen. »Es heißt, dass die Blausteine in einer entlegenen Gegend Afrikas gebrochen und von Riesen zunächst nach Irland geschafft wurden.«
    »Riesen?«, fragte King. »Riesen aus Stein?«
    Laurens Lächeln verblasste einen Moment lang. »Weiß ich nicht. Riesen eben.« Dann blitzte ihr Grinsen wieder auf, und sie fuhr fort: »Aber derjenige, der die Steine von Irland nach Britannien brachte, soll kein anderer als der große Magier Merlin persönlich gewesen sein. Das können Sie in Geoffrey of Monmouths Prophetiae Merlini nachlesen, den Prophezeiungen Merlins. Stonehenge wird darin als ›Kreis der Riesen‹ bezeichnet, weil es eben von den Riesen erbaut wurde.«
    Lauren bestätigte damit eine Menge Verdachtsmomente. Merlins Zaubersprüche. Riesen, die nach Golems klangen. Auf surreale Weise ergab alles einen Sinn. King wunderte sich, dass seine Stimme zitterte, als würde er auf der Rückbank eines hart gefederten Busses durchgerüttelt.
    Dann verstand er. Die Erde bebte.
    46 El Mirador, Guatemala
    Als Queen, Knight und Bishop aus dem Helikopter kletterten, traten sie in einen Alptraum hinaus, der direkt aus der Hölle zu stammen schien. Gleißende Blitze durchzuckten den Himmel. Peitschende Winde jagten ihnen die Regentropfen wie Nadeln gegen die Haut. Das tosende Brausen der Palmwedel und des Regens wurde nur noch von gelegentlichen Donnerschlägen übertönt. Immerhin hatte der Sturm auch sein Gutes. Da keine Touristen vor Ort waren und das Forschungsteam den Sturm in den Zelten abwartete, konnten sie sich ungestört umsehen. Hofften sie jedenfalls.
    Die Urwaldlichtung voller stabiler blauer Zelte war ungeschützt dem Toben der Elemente ausgesetzt. Das von den Zeltplanen aufgefangene Regenwasser strömte in regelrechten Sturzbächen durch das Lager und fing bereits an, die obersten Bodenschichten zu erodieren. Hin und wieder drangen die Stimmen der Forscher durch die Zeltplanen nach draußen. Mitten im Lager stand ein sehr großes Zelt auf einer hölzernen Plattform etwa einen Meter über dem Boden. Angesichts seiner Größe und der Sorgfalt, mit der es vor Überschwemmungen geschützt war, hielt Queen es für das Labor und ging darauf zu. Wenn Jon Hudson, der Ausgrabungsleiter, auch nur im Entferntesten den Wissenschaftlern ähnelte, die sie kannte, war er ungeachtet des unangenehmen Wetters noch bei der Arbeit.
    Die hölzernen Stufen knarrten unter dem Gewicht der drei Delta-Soldaten, doch als sie das Zelt betraten, sah sich der Mann drinnen nicht einmal nach ihnen um. Er saß mit dem Rücken zur Tür und war in seine Arbeit vertieft. Plötzlich streckte er die Hand aus und schnippte zweimal mit den Fingern. »Gib mir einen sauberen Pinsel.«
    Queen erblickte das fragliche Utensil und hielt ihn dem Mann hin. Er nahm ihn ihr ohne hinzusehen aus der Hand und wedelte Staub von einem Mayarelief.
    »Danke«, sagte er. »Schön, dass nicht alle vor einem bisschen Wind Schiss haben.«
    »Keine Ursache«, erwiderte Queen.
    Beim Klang ihrer Stimme stutzte der Mann. Er wandte sich um und musterte sie verblüfft von Kopf bis Fuß. Sie war wie eine Touristin in Cargoshorts, einen grünen Poncho und eine blaue Bandana gekleidet, daher blieben ihm ihre auffallenderen Attribute verborgen. Der Mann strahlte sie trotzdem erfreut an. Dann entdeckte er Bishop und Knight, was seinen Enthusiasmus ein wenig dämpfte. Queens Begleiter wirkten einfach zu einschüchternd, um einen Annäherungsversuch zu wagen.
    »Touristen?«, fragte er knapp.
    »Gewissermaßen«, antwortete Queen.
    »Sind Sie Jon Hudson?«, erkundigte sich Knight, während er unter seinen Poncho griff.
    Furcht kroch in Hudsons Augen. »Sie sind doch nicht etwa Grabräuber?«
    Knight zog die Hand unter dem Poncho