Code Vision (Vereint) (German Edition)
festzuhalten, dass ihr klar wurde, ich würde sie nie wieder loslassen, wenn sie es nicht wollte.
Aber wie konnte ich das tun? Wie konnte ich mich so nach ihr sehnen, wo ich doch nicht einmal den Mut aufgebracht hatte, mich bei ihr zu melden, als ich zurückgekehrt war? Sie schien meine Gedanken gelesen zu haben.
„In Ordnung“, sagte sie und stemmte sich auf die Arbeitsplatte. Wie schon bei ihr zu Hause, überschlug sie die langen Beine in einer anmutigen Bewegung. „Ich höre auf, danach zu fragen, wenn du mir ein paar andere Dinge beantwortest.“
Das aufgeregte Kribbeln in meiner Magengegend machte einem Unwohlsein Platz. Ich zögerte, willigte aber schließlich mit einem knappen Nicken ein.
Auf Emilys Gesicht breitete sich ein zufriedenes Grinsen aus. „Okay. Frage Nummer eins: Wieso schreibst du unter einem Pseudonym?“
Überrascht zog ich die Brauen hoch. „Das kannst du dir nicht denken?“
Em schüttelte nur den Kopf und schlackerte leicht mit dem obenliegenden Bein. Ich räusperte mich und holte zwei Tassen aus dem Schrank, um ihren Kaffee und meinen Tee fertig zu machen.
„Und du willst Buchhändlerin sein“, neckte ich sie. „Das war ein riesen Skandal.“ Das war maßlos übertrieben, denn immerhin hatte dieser „Skandal“ meine Verkaufszahlen nicht in die Höhe schießen, sondern in den Keller sinken lassen.
„Ich habe damals in einem Interview erzählt, dass … die ganzen Monster und Dämonen aus dem Buch nicht frei erfunden sind, sondern, dass ich sie sehen kann.“
Abwartend schaute ich sie an. Doch Emilys einzige Reaktion war ein kleines Zucken ihres Mundwinkels. Wärme durchflutete mich und vertrieb das Unwohlsein wieder. Schon damals hatte sie mir immer zugehört und mich nicht als krank oder verrückt abgestempelt. Sie hatte es hingenommen. Ob sie mir geglaubt hatte, wusste ich nicht.
„Daraufhin gab es ein großes Brimborium und zu guter Letzt bin ich noch einmal für ein paar Monate in die Klinik gegangen.“
Jetzt hob sie die Hand. Ich nickte auffordernd und reichte ihr eine Tasse heißen Kaffees.
„Hat es geholfen?“, fragte sie. „Sind die Dämonen jetzt weg?“
Ich sah ihr einen Moment schweigend in die Augen, während sie mir die Tasse abnahm. Dann glitt mein Blick über ihre Schulter zum anderen Ende der Küche, wo gerade der schwarze Schatten durch eine Wand verschwand.
„Ein wenig“, gab ich zu. Weder wollte ich sie anlügen, noch ins Detail gehen.
Sie zog eine feingeschwungene Braue nach oben und nippte an ihrer Tasse.
„Wie war das noch mit dem Grund, weshalb du hier bist?“
Ich verdrehte genervt die Augen. „Du kannst es nicht lassen, oder? Du bohrst solange, bis du jedes kleine Detail erfahren hast.“
Sie lächelte zuckersüß und wippte erneut mit dem Fuß. Resigniert goss ich meinen Tee auf und sah auf die Uhr.
„Nein“, sagte ich schließlich. „Wenn du es genau wissen willst: Es hat nicht geholfen. Aber das ist auch egal. Ich habe nun mal eine lebhafte Phantasie und ich kann damit leben. Ich musste nur lernen, dass damit nicht jeder klarkommt.“
Sie stellte ihre Tasse neben sich auf die Platte und musterte mich eingehend. Ich kannte diesen Blick nur zu gut. Früher hatte ich ihn immer ihren „Röntgenblick“ genannt. Wenn sie mich so ansah, dann konnte sie alles sehen, was sie sehen wollte. Meine Gedanken, meine Gefühle, jede Lüge, die ich vielleicht aufgetischt hatte. Ich wich ihrem Blick aus, doch sie griff nach meinem Kinn und zwang mich, sie wieder anzusehen. Ihre Berührung ließ mich erschaudern. Erst jetzt wurde mir klar, wie sehr ich sie tatsächlich wollte. Hier und jetzt!
„Du glaubst aber gar nicht, dass sie nur deiner Phantasie entspringen“, sagte sie – eine Feststellung, keine Frage. Und sie hatte mich erwischt. Ich musste es nicht mal sagen, sie erkannte die Wahrheit in meinen braunen Augen. „Ha! Ich habe recht!“
Widerwillig löste ich mich aus ihrem Griff, sah in meine Tasse und bewegte den Teebeutel ein wenig. Gespannt sah ich zu, wie er durch das inzwischen dunkle Teegebräu trieb.
„Und wenn schon. Ist das nicht vollkommen egal?“
Eine Weile schwiegen wir uns an, dann, als ich den Blick wieder hob und sie musterte, sprach sie weiter.
„Frage Nummer zwei“, sagte sie und sah mir interessiert in die Augen. „Wieso diese Kontaktlinsen? Das hast du früher nicht gemacht.“
Das überraschte mich. Erstens, weil die Frage vollkommen vom Thema abging und zweitens, weil sie genau wusste, wie sehr
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