Codename Hélène
einquartieren.
In den vielen, zum Teil sogar noch möblierten Zimmern richten sich Farmer und seine Truppe ein. Schlafen in Betten, was nach all den Monaten in den Wäldern allein schon ein wunderbares Gefühl ist, oder auf Teppichböden in Schlafsäcken, waschen sich, was aufgrund ihrer Ausdünstungen auch dringend nötig ist, mit dem Wasser, das sie in Eimern aus dem Schlossgraben holen. Im Wald hatte nur Nancy Wake so etwas Ähnliches wie ein eigenes Bad, die Männer behalfen sich mit gelegentlichem Untertauchen in einem der Seen oder heißen Quellen, stets wachsam den Himmel absuchend, ob sich ein deutscher Adler auf der Suche nach Beute nähern würde.
Wichtiger noch: Sie müssen sich nicht mehr in die freie Natur begeben, wenn sie, bedingt durch die Natur des Menschen, dringend natürlichen Bedürfnissen zu gehorchen haben. Denn dafür gibt es in der Ruine noch funktionierende Anstalten. Auch das macht die Luft freier als in den vielen Wochen zuvor. Sie setzen in der Küche den großen Herd in Betrieb, aber nur nachts, damit kein Rauch aus dem Kamin Leben verrät, erfüllen ihre militärischen Pflichten im täglichen Training, verstecken oder verteilen, was per Fallschirm abgeworfen wurde. Fast wie in der Sommerfrische geht es im Untergrund auf dem Schloss zu. Es gibt im Speisesalon sogar noch silbernes Besteck und feines Geschirr, wenn auch bedeckt mit Staub und Dreck und toten Fliegen. Zum Hausputz treten nur die Männer an. Nancys Angebot, zu helfen, lehnen sie ab. Was sie verwundert. Das passt nicht zum Macho-Wesen der Maquisards. Irgendetwas planen die. Wollen dabei offenbar nicht von Hélène beobachtet werden.
Was haben sie vor?
KAPITEL 7
Vive la France
B isher wurde Nancy Wake als »Weiße Maus« oder Agentin Hélène zwar von der SS oder der Gestapo oder der Milice Française verfolgt. Aber ebenso vom Glück. Überirdische Mächte, verkörpert durch unsichtbare Schutzengel, spielten dabei keine Rolle. In der Hölle Krieg gab es sie nicht mehr. Ihr Einsatzleiter hatte sich mit ihnen zurückgezogen in himmlische Sphären und bis auf Wiedervorlage die Welt den Teufeln überlassen. In Zeiten wie diesen flogen über die verbrannte und blutgetränkte Erde Europas keine Cherubinen und Seraphime, sondern Jagdbomber und Granaten.
Die junge Frau ist seit fast zwanzig Monaten zu Hause in ihrem geheimen anderen Leben. Von ihrem Mann weiß sie nach wie vor nichts. Weiß nicht, wie es ihm geht, wo auch immer er sein mag, weiß nicht, ob er noch lebt oder gar schon tot ist. Seit dem Abschied von Henri und ihrer Flucht aus Marseille hat sie, bei Gott, den Tod zwar oft schon erlebt. Den der Freunde und den der Feinde, den der Mitstreiter und den der Gegner, sich an seine Allgegenwart aber nie gewöhnen können. Ihr unsentimentales hartes Auftreten, von den Maquisards als männliche Haltung geschätzt, die der ihren entsprach, täuschte gelassenen Umgang vor mit dem Töten oder der täglichen Gefahr, getötet zu werden.
Wie es sich jedoch tatsächlich anfühlte, einen Menschen umzubringen, ihm Auge in Auge gegenüberzutreten und just in diesem Moment in seinen Augen die Angst zu erkennen, die der eigenen entsprach, hat sie vor Kurzem erst gespürt. Danach tagelang, über sich selbst erschrocken, unter dieser Erfahrung gelitten, allerdings nie darüber gesprochen. In der Theorie einst im idyllischen Beaulieu im New Forest kam es beim Training nur auf die richtigen Handgriffe an. Die hatte sie spielend gelernt. Doch in der Praxis war es etwas ganz anderes, unvergleichbar und bis dahin unvorstellbar gewesen, persönlich einem Menschen das Genick zu brechen, statt an Pappkameraden die eigene Schlagkraft zu üben. Ihre reflexartige Kopfentscheidung zu töten war zwar richtig und bewahrte umgekehrt sie davor, getötet zu werden. Aber es belastete ihre Seele. Mit einer Maschinenpistole auf Deutsche zu schießen, die im Tod feldgrau auf der Erde liegen blieben, machte das Töten dagegen beruhigend anonym, zu einer im Krieg nun mal nötigen Pflicht.
Bis jetzt, Sommer 1944 , wenige Wochen vor ihrem 32 . Geburtstag, war sie dem Tod auf verschiedenen Stationen ihres Einsatzes entflohen, bevor er sie einfangen konnte: als heimliche Kurierin im Netzwerk Pat O’Leary, gesucht von der Gestapo und der Vichy-treuen Gendarmerie Nationale oder festgenommen als vorgebliche Bombenattentäterin, unter dem dringenden Verdacht, ein Kino in Toulouse in die Luft gesprengt zu haben. Entwischt per Sprung aus dem Abteilfenster, als SS
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