Codename Hélène
-Einheiten den Zug umstellt hatten, in dem sie unterwegs war in Richtung spanische Grenze, oder durch die waghalsige Überquerung der schneebedeckten Pyrenäen. Dem Tod entkommen in den blutigen Gefechten am Mont Mouchet oder bei ihrer »Tour de France« nach Châteauroux auf der Suche nach einem Funker für die Agententruppe Freelance . Dem Tod buchstäblich im allerletzten Augenblick von der Schippe gesprungen, die er in Gestalt des betrunkenen Milizionärs hochhielt, weil der sich selbst zerfetzte, statt sie in die Luft zu jagen. Oder ihm unlängst entwichen, als sie nach dem Attentat gegen die tafelnden Gestapo-Leute im Hôtel de l’Univers in Montluçon, bei dem 38 Deutsche ihr Leben ließen, zum Citroën rannte – »ran like hell back to my car, withdrawing to a safer spot« – und sich vor dem zu erwartenden Gegenschlag der SS an einen sicheren Ort davonmachen konnte.
Außer einem Muskelkater und einem wundgescheuerten Hintern nach der im Rückblick in der Tat irren Entscheidung, ohne einen bewaffneten Begleiter mit dem Fahrrad fünfhundert Kilometer durch das Département Haute-Loire zu strampeln, das von den Deutschen kontrolliert wurde, war ihr körperlich nichts Schlimmeres widerfahren. Sie hatte unter Beweis gestellt, was bereits ihre strengen Ausbilder als besondere Eigenschaften in der Agentin Wake vermuteten: in Gefahr und Not und unter Stress mutig entschlossen zu handeln. Der renommierte englische Historiker und Journalist Max Hastings ging sogar noch einen Schritt weiter in der Charakterisierung. Beschrieb Nancy Wake als »ardent warrior«, als eine leidenschaftliche Kriegerin, mit einer unendlichen Lust auf Abenteuer, »an endless appetite for sensation« .
Tapfer in Gefahr und Not zeigten sich andere von Special Operations Executive in Frankreich eingesetzte Frauen zwar auch. In den über Tod oder Leben entscheidenden Momenten jedoch hatten sie nicht so viel Glück gehabt wie Hélène. Sie waren von der SS auf der Flucht erschossen oder von französischen Denunzianten verraten oder von der Gestapo verhaftet worden. Wer dieser bei den zahlreichen Razzien in Paris in die Hände fiel, starb entweder bereits in den Folterkellern in der Avenue Foch oder Monate später in den Vernichtungslagern. Züge mit Deportierten fuhren los in Drancy, spuckten ihre menschliche Fracht kurz mal aus in Zuchthäusern auf dem Weg, wie Pforzheim oder Karlsruhe, und hielten dann an der Endstation Tod an einem der Tore, über die in widerlichem Zynismus geschrieben stand »Arbeit macht frei« oder »Jedem das Seine«. Nancy Wake erfuhr erst nach dem Krieg von den vielen Kammern des Schreckens, in denen SOE -Agentinnen zu Tode gequält worden waren, und bedauerte vielleicht auch deshalb öffentlich, eigenhändig nicht mehr Deutsche getötet zu haben.
Nach der Wahlniederlage des siegreichen »Kriegspremiers« Winston Churchill im Juli 1945 gab es heftige Auseinandersetzungen im britischen Unterhaus und in den Zeitungen über die angeblich durch Nachlässigkeit der Verantwortlichen verschuldeten tödlichen Pannen der SOE . Der Vorwurf wog schwer. Churchill konnte Special Operations Executive nicht mehr durch ein Machtwort schützen, die SOE -Chefs selbst durften die tatsächlichen Einzelheiten bestimmter in der Tat misslungener Einsätze nicht offenlegen, um sich gegen Pauschalvorwürfe zu verteidigen. Zwar war allen, die sich freiwillig zum Einsatz im Schattenkrieg gemeldet hatten, das Risiko bewusst gewesen, und alle hatten gewusst, worauf sie sich einlassen würden.
Aber nach Churchills Abgang von der politischen Bühne wurde die Special Operations Executive von ihren Todfreunden aus MI 5 und MI 6 heftig attackiert, weil sie entgegen allen Warnungen begabte Amateure rekrutiert habe, auch vor allem wegen ihrer Strategie, in Frankreich junge, schöne, tapfere Frauen einzusetzen. Dieser Angriff zielte nicht nur wie die allgemein gehaltenen anderen Vorwürfe auf den obersten Chef von SOE , General Colin Gubbins, sondern konkret auch auf den von Sektion F, auf Colonel Maurice Buckmaster. Der habe alle seine Gänse ausnahmslos für Schwäne gehalten, lästerte ein Abgeordneter im Unterhaus. Öffentlich konnte auch Buckmaster sich nicht wehren, denn alle Aktionen von SOE waren – und das blieb noch lange so – nach wie vor top secret.
In seinen Memoiren erst brach der für alle Einsätze in Frankreich verantwortliche Buckmaster sein Schweigen und griff, befreit von Vorschriften und entschlossen, keine Rücksicht mehr zu
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