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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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würden sie ihm sein Leben schenken und ihn freilassen. Aber selbst da sei ihr Henri Fiocca treu geblieben. Bis in den Tod. So wurde es nach der Befreiung Nancy Fiocca erzählt, aber ob es wirklich so war, lässt sich nicht überprüfen.
    Sicher dagegen ist, dass Henri Fiocca Mitte Oktober 1943 hingerichtet worden ist. Seine Frau schreibt in ihren Erinnerungen, eines Nachts, am 13 . Oktober 1943 , habe sie in London von seinem Tod geträumt, sei schreiend aufgewacht, aber am anderen Morgen habe eine Freundin sie beruhigt, es sei sicher nur ein Albtraum gewesen, bestimmt werde er bald in London eintreffen. Wie nahe der furchtbaren Realität ihr furchterregender Traum war, konnte sie ja nicht ahnen. Es gab einfach keine Nachrichten aus Frankreich, denn die Mitstreiter des Netzwerks Pat O’Leary, die sie mithilfe von Ian oder Leslie oder Bob hätte kontaktieren können, waren entweder alle verhaftet oder hielten sich irgendwo versteckt.
    Die Nachricht von Henris Tod überfällt seine Frau in dem Moment, als ihr nur nach Feiern zumute ist. Dass in Vichy ein Volksfest stattfinden soll, nachdem die Deutschen abgezogen sind und die Stadt wieder den freien Franzosen gehört, erfahren die Briten und die Amerikaner auf dem nahen Schloss nur durch Zufall. Ein Maquisard hat es ihnen erzählt. Colonel Gaspard hatte offenbar vergessen, sie einzuladen. Er will den Ruhm mit niemandem teilen. Sie machen sich auf den Weg. Schließlich ist der Sieg auch ihr Sieg. Kommen durch weinselige Dörfer, in denen die Befreiung begossen wird, schaffen es rechtzeitig auf den großen Platz vor dem Denkmal, das an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs erinnert. Es werden Kränze niedergelegt, es werden die Helden geehrt, es wird auch der Hilfe von Verbündeten wie Hélene, Hubert, Roland gedacht, es wird die Freiheit besungen, es wird befreit gelacht.
    Eine Frau kämpft sich durch die Menge zu Nancy Wake, umarmt sie, sagt ihr gegen den fröhlichen Lärm etwas ins Ohr. Denis und John drehen sich neugierig um und sehen, wie ihre Freundin in Tränen ausbricht und in den Armen der Fremden zusammensinkt. Sie helfen ihr auf die Beine. Führen die Schluchzende aus der Menge heraus. Die Frau begleitet sie. Sie stammt aus Marseille, hat an der Rezeption des Hôtel du Louvre et de la Paix gearbeitet und plötzlich hier in der glückseligen Menge Madame Fiocca entdeckt, die sie natürlich sofort erkannte, weil Madame und Monsieur sich vor der Okkupation ja täglich zu einem Drink in der Lobby des Hotels getroffen hatten.
    Und was hat sie ihr ins Ohr gesagt? Sie habe nur die erste Frage von Nancy beantwortet. Ob sie wisse, wie es Henri gehe und wo der sei. Da hatte sie ihr spontan erzählt, dass er im Mai 1943 von der Gestapo verhaftet und fünf Monate später, wie man erfahren hatte, hingerichtet worden war. Sie kennt keine Einzelheiten. Die kann nur Nancy Fiocca selbst erfragen: »I want to go straight to Marseille to find out what had happened.« In einem der von den Deutschen zurückgelassenen Autos nach Marseille zu fahren dauert allerdings angesichts der herrschenden Zustände – alle wichtigen Brücken sind durch die Luftangriffe der Alliierten und die Sabotageakte der Résistance zerstört – mehrere Tage. Sie wird begleitet von John Alsop, von John Farmer, von Denis Rake. Decknamen sind nicht mehr erforderlich.
    Ob sie, angekommen in Marseille, was normal gewesen wäre, als Erstes ihre Schwiegereltern besucht hat, um von ihnen alles zu erfahren über das Schicksal ihres Mannes, ob sie sein Grab aufgesucht hat, ob sie nach Verhörprotokollen in dem von der Gestapo fluchtartig verlassenen Hauptquartier suchte, erwähnt sie nicht in ihren Notizen. Stattdessen beschreibt sie die Freude, Picon lebend angetroffen zu haben, ihren kleinen Hund. Die Vermutung, dass die Familie Fiocca ihr die Schuld gab am Tod des Sohnes, sich deshalb schlicht weigerte, mit ihr zu reden, was wiederum sie mit nachgetragenem Schweigen quittierte, mag zwar erlaubt sein, aber es ist nicht mehr als nur eine – wenn auch naheliegende – Erklärung. Fest steht, dass Nancys Mann von der Gestapo ermordet, aber auch, dass er in seiner Heimatstadt nicht vergessen wurde, denn ihm zu Ehren heißt eine Straße in Marseille Rue Henri Fiocca.
    Was genau damals 1943 passiert war, nachdem Henri Fiocca verhaftet worden war, erzählt ihr Monate später ein katholischer Geistlicher, der mit ihrem Mann mal die Zelle geteilt hatte und dann in ein Konzentrationslager deportiert worden war. Fiocca

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