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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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Peilwagen. Außerdem stehen Wachen bereit. Nüchtern. Gut bewaffnet.
    Nancy Fiocca ist ungeduldig. Sie will jetzt, da der Schattenkrieg eigentlich vorbei zu sein scheint, da man sich vor den Deutschen nicht mehr in den Wäldern verstecken muss, möglichst schnell nach Marseille, das inzwischen befreit ist von den Fridolins, doch es fahren keine Züge, und viele Straßen sind nach wie vor umkämpft. Von ihrem Mann weiß sie noch immer nichts. Vielleicht hat er im Frühjahr 1943 die Flucht gar nicht antreten können. Sonst hätte sie doch längst ein Lebenszeichen erhalten müssen, entweder aus Spanien oder aus Portugal oder aus Gibraltar. Ihre englischen Freunde Ian Garrow und Leslie Wilkins, zu deren Rettung Henri einst furchtlos beigetragen hat, kennt er schließlich so gut wie sie, und die hätten sie irgendwie verschlüsselt informieren lassen, obwohl alles Persönliche im Funkverkehr von SOE streng verboten worden war. Vielleicht hatte er sich aus Marseille lieber in ihr Haus im Dorf Névache zurückgezogen und wartet dort auf das Ende des Schreckens – und auf sie.
    Aber Henri Fiocca ist längst schon tot.
    Im Mai 1943 bereits hatten ihn Gestapo-Agenten in Marseille verhaftet. Sie suchten die »Weiße Maus« und vermuteten, dass höchstwahrscheinlich jene seit Monaten verschwundene Madame Fiocca diese geheimnisvolle Frau war, auf deren Ergreifen sie fünf Millionen Francs ausgesetzt hatten, 25 0 00 Pfund. Ihr Ehemann müsste wissen, wo sie sich versteckt hielt. Der Sippenhafterlass, wonach Unterstützung von Angehörigen, die in der Résistance kämpften, mit dem Tode bestraft würde, dürfte als Drohung genügen, damit er ihnen alles sagte, was er wusste. Doch er gab vor, keine Adresse von ihr zu haben, nicht mal zu ahnen, wo sich seine Frau befand. Sie habe ihn verlassen, schon im Januar, seitdem habe er keinen Kontakt mehr. Er zeigte als Beweis den Brief, in dem sie begründet hatte, warum sie das Leben mit ihm nicht mehr aushalten würde und nach Paris zurückgehe.
    Von dem, was da geschrieben stand, glaubte die Gestapo kein Wort. Und ihm, der beteuerte, ihren aktuellen Aufenthaltsort nicht zu kennen, auch nichts. In Wahrheit wusste er zwar seit der Postkarte an den Barmann des »Verduns«, dass sie Frankreich unversehrt verlassen hatte, dass sie in Sicherheit war, aber selbst das verschwieg er. In den kommenden fünf Monaten behielten die Deutschen Henri Fiocca in ihrer Gewalt und versuchten immer wieder, ihn mit den üblichen Methoden der Gestapo zum Reden zu zwingen. Folter. Einzelhaft. Folter.
    Zu foltern war vielen von denen ein lange unterdrücktes Bedürfnis. Das Schreckensbiotop namens Gestapo deshalb ein ihnen gemäßes Eldorado mit Niederlassungen in ganz Europa. Unauffällig zu Friedenzeiten, als Gewalt noch geahndet wurde, losgelassen in Zeiten, da die Gewalt sanktioniert wurde, entpuppten sich scheinbar friedfertige Nachbarn als willige Mörder. Die Vernichtung von Andersdenkenden und Andersgläubigen gehörte zur Raison d’être der Diktatur. Im Namen der herrschenden Gesetze war Terror nicht nur erlaubt, sondern Pflicht. Weshalb nach dem Krieg bei so vielen Tätern jedes Unrechtsbewusstsein fehlte. Sie hatten doch nichts weiter getan, als ebenjene Pflicht zu erfüllen. Nichts Ungesetzliches.
    Ein Gestapo-Mann in Paris zum Beispiel war im Zivilleben Kellner im Hamburger Hotel Vier Jahreszeiten, sicher dort jederzeit bereit, von jüdischen Gästen ein Trinkgeld zu empfangen. In Frankreich wurde er zum Experten für water downing , das simulierte Ertränken von Opfern in eiskaltem Wasser. In der Dienststelle Lyon wiederum gab es einen Offizier, der »Ergebnisse« erzielte, indem er mit einem abgebrochenen Besenstiel so lange auf den Penis des Verdächtigen einschlug, bis der zusammenbrach und den Tod, der folgte, als Erlösung ansah. Auch diese Horrorszene ist verbürgt: Um bei einem Verhör das Schweigen einer jungen Französin zu brechen, die verdächtigt wurde, den Maquis zu unterstützen, schmetterte der Deutsche ihr Baby an die Wand. Der Mann trug die Uniform der deutschen Wehrmacht. Die Frau schwieg, obwohl ihr das Herz brach, und wurde erschossen.
    Zur Taktik der Gestapo gehörte es, dass sich Henri Fiocca von den Verhören erholen, sogar den Besuch seines Vaters empfangen durfte, der von Anfang an gegen die Mesalliance mit jener dubiosen Australierin gewesen war. Angeblich habe der ihn beschworen, zu kooperieren mit den Deutschen, ihnen alles zu sagen, was sie wissen wollten. Dafür

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