Codename Hélène
nahm ihm das Versprechen ab, dass er, der Priester, falls er überleben würde, nach dem Krieg seine Frau suchte, falls die überlebt haben würde, und ihr alles über sein Schicksal berichtete. Da musste er offenbar geahnt haben, was ihm bevorstand. Die Hinrichtung. Der Pater überlebte, erfüllte seinen Auftrag, suchte Nancy und fand sie.
Die Einzelheiten der Folter ersparte er ihr. Henris Vater hatte in der Tat seine besonderen Verbindungen zum Vichy-Regime eingesetzt. In Begleitung eines befreundeten Kollaborateurs versucht, den Sohn aus dem Gefängnis zu holen. Und dabei nicht verhehlt, was er grundsätzlich von seiner Schwiegertochter hielt, deren Lebenswandel ihm stets suspekt gewesen sei, und erst recht ihre Aktivitäten im Dienste des Feindes, der für ihn Großbritannien hieß und nicht Deutschland. Er beschwor Henri, den Deutschen zu verraten, wo sie sich versteckt hielt. Denn nur sie sei schuld, dass er jetzt in der Zelle saß und sogar mit einem Todesurteil rechnen musste, falls er schwieg. Warum wolle er sie noch immer schützen, obwohl es ihn sein Leben kosten könnte? Henri Fiocca lehnte ab. Bat im Gegenteil seinen Vater, sich nach seinem Tod um Nancy zu kümmern. Dabei ging es ihm offenbar nicht um Geld, denn finanziell hatte er, wie er glaubte, vorgesorgt für seine Frau.
Ungefähr zehn Millionen Francs sollten im Schließfach einer Bank liegen, umgerechnet jetzt fünfzigtausend Pfund. Das hatte ihr Henri anvertraut, bevor sie sich trennten. Doch als sie die stählerne Box öffnete, war die fast leer. Offensichtlich hatte sich die Gestapo bedient. Sie fand nur unbezahlte Rechnungen seines Schneiders vor und die in den zurückliegenden Jahren aufgelaufenen Mietzahlungen für die Wohnung in der Rue Édouard Stephan, die ebenfalls leergeräumt war. In der hatten bis zum Abzug der Besatzer drei weibliche Helfer der Gestapo, wahrscheinlich Schreibkräfte, gewohnt. Und an ihrem »D-Day«, dem »Departure Day«, sämtliches Mobiliar, sogar das Besteck, die Gläser, das Porzellan, auf drei Lastwagen laden lassen und sich heim ins Reich aufgemacht. Nancy Fiocca begründete damit Jahre später ihre Forderung an das demokratische Deutschland nach Wiedergutmachung in Höhe von fünf Millionen Francs, was dem Wert des Hausstands entsprochen habe und nicht von ungefähr übereinstimmte mit dem einst auf sie ausgesetzten Kopfgeld. Sie bekam nichts, denn es gab keine Beweise für die Plünderung.
Sie findet über Freunde eine bezahlbare Wohnung in der Rue du Lycée-Périer, bleibt mit Unterbrechungen sogar bis August 1945 in Marseille. Aber ein Zuhause ist die Stadt für sie nur in der Verbindung mit Henri gewesen. Der ist tot. Hier hat sie ihn verloren, hier hat sie nichts mehr verloren. Kaum zwei Jahre sind seit ihrer erzwungenen Abreise, ihrer Flucht, bis jetzt zu ihrer Rückkehr vergangen. Was sie in der Zeit erleben musste, hätte in normalen Zeiten für ein langes Leben gereicht. Die Erfahrungen haben sie gelehrt, den Tod gelassen hinzunehmen, statt ihn zu beweinen. Sie schließt innerlich und in Wehmut das Marseille-Kapitel ihrer Biografie, auch wenn sie dort noch fast ein Jahr eine feste Adresse hat, und beginnt ein neues Kapitel in der Stadt ihrer Jugendliebe, in Paris.
Zunächst nur auf Visiten. Die große Siegesparade in Paris, angeführt von General Charles de Gaulle, war längst vorbei, als sie im September 1944 , begleitet von den Freelancern John Farmer und Denis Rake, an der Seine ankommt. John Alsop und Reeve Schley sind zu ihrer in England stationierten US -Einheit geflogen worden. So schnell wie einst, als Nancy Wake mit dem Train Bleu von Marseille in die Hauptstadt fuhr, ging es nach den Zerstörungen des Kriegs nicht mehr. Sie brauchten für die Fahrt zwei Tage. Doch gefeiert wurde seit der Kapitulation und dem triumphalen Einzug de Gaulles in die Hauptstadt noch immer ein tägliches Fest fürs Leben.
Nach Wochen der wiedergefundenen Lebensfreude, unterbrochen durch Phasen der Trauer über den erlittenen Verlust, in denen sich Nancy von ihren meist trunkenen Freunden zurückzog und keinen sehen wollte, flogen sie mit einer Royal-Air-Force-Maschine nach London. Der Immigrationsoffizier studierte nach der Landung zwar ihre Papiere, bliebt aber misstrauisch und behielt sie bis auf Weiteres unter Obhut. Nancy Wake empörte sich über diese Behandlung, ihrer Art entsprechend. Herrisch erklärte sie ihm, wer sie seien und dass er gefälligst seinen Arsch bewegen solle, denn ihr und vielen
Weitere Kostenlose Bücher