Codename Hélène
Schulungsraums, dass er sichtbar sein würde, sobald der Unterrichtende zur Kreide griff und die Tafel nach unten zog. Wie ein Lehrer in der Schule wollte er wissen, wer verantwortlich sei für diesen Streich. Niemand meldete sich. Natürlich wussten alle seit der Szene beim Frühstück, von wem das peinliche Ding stammen musste. Aber alle schwiegen und warteten gespannt auf Nancys nächsten Streich.
Das zweite Kondom versteckte sie im Futter der Mütze eines bei Studenten wegen seiner Strenge unbeliebten Offiziers, die am Garderobenständer hing. Es dauerte Tage, bevor der herausfand, was ihn drückte an der Stirn. Das dritte Objekt für die folgenfreie Erfüllung heimlicher Begierden hinterließ sie in der Manteltasche eines Ausbilders, den sie während einer Übung, in der sie lernen sollte, spontan auf unerwartete Situationen zu reagieren, als scheinbar lang vermissten Freund umarmte. Den Trick, ein Liebespaar zu spielen angesichts einer sich nähernden Gefahr, hatte sie mit einem Mann schließlich schon einmal ausprobiert. Damals auf dem Bahnhof in Frankreich bei ihrer Flucht, als sie ihren überraschten Begleiter so lange küsste, bis der Polizist an ihnen vorbeigegangen war.
Eine passende Gelegenheit für practical jokes ließ sie selten ungenutzt verstreichen. Einmal steckte sie einen Franzosen aus ihrer Gruppe in eines ihrer Kostüme, verpasste ihm High Heels, schminkte ihm die Lippen rot und verbarg sein kurz geschnittenes Haar unter einem Kopftuch. Er durfte sich nur von hinten sehen lassen, face to face wäre er sofort aufgefallen. Aufregung beim Ausbilder. Wer ist diese fremde Frau da hinten auf der Wiese? Achselzucken. Irgendeine Frau halt. Wahrscheinlich sucht sie ihren Liebhaber. Nachdem sich herausgestellt hatte, welcher Mann die Frau war, bewies Captain Walker britischen Sportsgeist. Er lachte einfach mit.
Eines der schönsten Mädchen im Ausbildungscamp hieß Violette Szabo. In sie waren noch mehr Männer verliebt als in die mit den blitzenden Augen, in Nancy Wake. Die jungen Frauen machten sich nichts aus den sie anhimmelnden Kerlen. Nancy wartete auf ihren Ehemann, über dessen Schicksal sie nichts wusste, Violette hatte sich freiwillig gemeldet für den Einsatz, weil sie ihren im Kampf gegen die Deutschen gefallenen Mann rächen wollte. Auf dem Schießstand war sie die Beste. Wenn sie knapp bei Kasse war und dringend Zigaretten kaufen musste, bot sie den Herren Wetten an. Sie gewann immer.
Codes zu basteln anhand von Gedichten oder Gebeten, die den Deutschen fremd waren, war die Aufgabe von Leo Marks, dessen Vater die berühmte Buchhandlung Marks & Co. in der Charing Cross Road besaß. In seiner Personalakte wird er als brillantes »Code-Genie« beschrieben. Er dachte sich für alle SOE -Agenten individuelle Geheimcodes aus, anhand deren einzelner Silben und Wörter sich überprüfen ließ, ob ein Funkspruch tatsächlich von einem der zu jeder Gruppe gehörenden wireless operators abgesetzt worden war und nicht von den Deutschen. Es waren nicht immer die allerfeinsten. Frankreichs Held Charles de Gaulle, dessen gleichfalls im Schattenkrieg parallel zu SOE aktive sogenannte » RF -Sektion« am Dorset Square untergebracht war, hätte sich wahrscheinlich direkt an seinen Todfreund Winston Churchill gewandt, wäre ihm übersetzt worden, wie ein paar Häuser weiter bei der verbündeten Konkurrenz der F-Sektion der SOE seine private parts zu einem Code-Poem zugeschnitten worden waren: »Is de Gaulle’s prick / Twelve inches thick / Can it rise / To the size / Of a proud flag pole / And does the sun shine / From his arse-hole?«
Beim Anblick von Violette allerdings verlor der begabte, erst 22 -jährige Zyniker Leo Marks den Kopf und hoffte, wie er in seinen Erinnerungen schrieb, dass jener Tag, an dem er ihr die Technik von Codes und Entschlüsselung beibrachte, niemals enden möge. Es geschah damals, was die Franzosen einen coup de foudre nennen – Liebe auf den ersten Blick. Für sie wählte er nicht irgendein Gedicht, in dem Codewörter nach einem bestimmten System versteckt waren – gängige Favoriten waren Werke von Shakespeare, Molière, Racine, Tennyson, Keats und immer gern was aus der Bibel – und dann verfremdend mit seinen Gedanken, Sätzen, Zeilen, Wörtern ergänzt wurden.
Er schrieb ein eigenes. Das las sich nicht nur wie eine Liebeserklärung, es war auch eine: »The life that I have / Is all that I have / And the life that I have / Is yours; / The love that I have / Of the
Weitere Kostenlose Bücher