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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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bereits erfolgreich eingesetzt wurde oder was noch nicht so weit war, verwendet zu werden. Auch König George VI . gab den Erfindern die Ehre und zeigte sich »very amused« und tief beeindruckt.
    Was in Phase zwei in der Nähe von Manchester auf einem Stützpunkt der Royal Air Force trainiert wird, entspricht weniger Nancy Wakes besonderen Fähigkeiten. Absprung per Fallschirm, entweder aus einem Heißluftballon oder aus einem Flugzeug, muss jetzt geübt werden. Anfangs in einer Scheune. Da soll sie nur lernen, sich richtig zu verhalten beim Landen, lässt sich mittels Rutschen aus fünf Meter Höhe auf den Boden fallen und darf dabei nicht auf den Zehenspitzen aufkommen, weil die Verletzungsgefahr zu groß ist. Was sollte man mit einem humpelnden Agenten, gejagt von der Gestapo, anfangen können, wenn es darauf ankommt, schnell in einem vorbereiteten Versteck zu verschwinden? Sobald die Kandidaten ihre Trockenübungen beherrschen, steigen sie auf in die nasse Nacht. Wechsel von der Theorie zur Praxis. Diese ist um diese Jahreszeit, mittlerweile ist es Ende Februar, in England geprägt durch schwere Regenwolken und Stürme.
    Am ersten Trainingstag können die Flugzeuge nicht aufsteigen. Die Wetterverhältnisse sind zu schlecht. Die Ausbilder halten für solche Situationen einen Heißluftballon bereit, fest verankert in der Erde, aber hoch genug am Himmel, um eine der Wirklichkeit entsprechende Situation nachstellen zu können. Nancy Wake macht dabei keine gute Figur. Sie lässt sich einfach, Hände voraus, ins Nichts fallen. Man könne ihre Leistung kaum als gelungen bezeichnen, steht in der Beurteilung. Auch bei den folgenden Sprüngen ist sie »rather on the heavy side«. Deshalb landet sie auf den Zehenspitzen, was ja tunlichst vermieden werden sollte: »On her third descent she must have again landed on her toes for she fell flat forward and winded herself« – selbst beim dritten Versuch sei sie auf den Zehenspitzen aufgekommen und dann flach und außer Atem auf der Erde gelandet.
    Falls sie es endlich ohne Sturz schaffen würde, versprechen ihr die Männer ihrer Gruppe – denn vorher erhalten auch sie keinen Urlaubsschein –, bekäme sie einen doppelten Whisky von ihnen. Von jedem. Das hilft. Beim nächsten Sprung landet Nancy Wake sicher auf der Erde. Am folgenden freien Wochenende zeigt sie nicht nur Trinkfestigkeit, sondern auch Führungsstärke, weil nur sie weiß, wo die besten Pubs in London zu finden sind.
    Fehlen noch zwei Härtetests. In denen wird realistisch der Ernstfall geprobt. Einmal das einsame Leben unter falscher Identität in einer fremden oder feindlichen Umgebung und stets in der Gefahr, als verdächtig aufzufallen und verhaftet zu werden. Und zum anderen, was nach einer solchen möglichen Verhaftung mit ihnen passieren dürfte – Verhöre unter dem Einsatz aller denkbar brutalen Methoden, um ihr Schweigen zu brechen.
    Jeder Kandidat muss sich für 96 Stunden selbst neu erfinden. Eine Biografie ausdenken, die zumindest kurzzeitig jeder Überprüfung standhält. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. In eine falsche Identität zu schlüpfen kann im Ernstfall das Leben retten, und genau diese Fähigkeit wollen die Ausbilder testen. Verbunden mit einem Auftrag, der ähnlich unter anderen Vorzeichen dann auch in Frankreich erteilt werden könnte. Nancy Wake, die in der entsprechenden Akte als »Studentin Norah Williams« verzeichnet ist, soll bei Hydraulic Engineering Co., Firmensitz Charles Street, Chester, herausfinden, a) was dort produziert wird, b) auf welchem Weg die Produktion die Fabrik verlässt, c) ob es in Chester Haltepunkte gibt, an denen der Transport für längere Zeit verharrt, damit dann d) dort ein Sabotageakt durchgeführt werden kann, bevor die Ladung Chester verlassen würde. Wie sie das bewerkstelligen wollte, blieb ihrer Fantasie überlassen. Was in der erblüht war, sei »gut überlegt und gut durchgehalten« worden, steht in der abschließenden Beurteilung vor dem ersten echten Einsatz. Die Legende, die sich Nancy Wake ausdachte:
    Sie sei die Frau eines britischen Offiziers, der bei der Eroberung Singapurs durch die Japaner in Gefangenschaft geraten war und von dem sie seitdem nichts mehr gehört hatte. Sie wisse nicht, ob er noch lebt oder ob er schon tot ist. Diese Geschichte passte zu ihrer eigenen, der mit Henri Fiocca. Weil sie in London ausgebombt worden war, suche sie für sich und ihre beiden kleinen Kinder, eines davon kränklich und dringend auf

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