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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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abgesprungener Agenten so, dass auch bei Tageslicht keine Spuren mehr in der Erde zu finden sind? Denn sonst würden automatisch in der näheren Umgebung die Menschenjäger der Gestapo ausschwärmen und nach ihnen suchen. Alles Übungssache. Learning by doing , lautet das Motto. Und so sprengen sie übungshalber tonnenschwere Trafos zu einem Haufen Schrott, womit im Ernstfall echte Stromleitungen unterbrochen wurden, schießen mit Revolvern und Maschinenpistolen, guns and stens , auf Pappkameraden, die urplötzlich hinter einer Hausecke oder aus dem Gebüsch brechen, werfen Handgranaten auf einen imaginären Gegner und trainieren im Nahkampf die Kunst des silent killing , bis sie auch dieses tödliche Handwerk beherrschten.
    Lautlos zu töten ist tatsächlich Handwerk. Da muss jeder Griff sitzen. Da muss jeder Schlag treffen. Schon der erste Hieb muss tödlich wirken. Ausbilder sind zwei ehemalige Polizeioffiziere der Shanghai Municipal Police Force, beide bereits Mitte fünfzig, beide seit 1939 im britischen Geheimdienst aktiv und bei der Suche nach den Besten der Besten Ende 1940 von SOE verpflichtet worden. William Fairbairn und Eric Sykes lehren, was in keinem offiziellen Lehrbuch steht: die Kunst des lautlosen Tötens. Bis zur Besetzung Shanghais durch Japan gehörten sie zu jenen vielen Briten, angeworben durch eine Londoner Agentur namens John Pook & Co., die gegen die chinesischen Gangsterkartelle der Triaden eine schlagkräftige Polizeibehörde aufbauten. Von deren Methoden wie Judo und Kickboxen hatten sie abgeschaut und weiterentwickelt, was sie jetzt üben lassen. Faire Regeln sind verboten, alle dreckigen Tricks erlaubt:
    Dem Gegner mit gestreckten Fingern in die Augen stechen oder seine private parts zusammenpressen zu Rühreiern. Knie und Ellbogen wie körpereigene Schlagstöcke benutzen, Kopfstöße ins Gesicht der Angreifer rammen oder diese mit dem sogenannten bear hug erdrücken, bis ihnen der Atem erstirbt, Messer in die Kehle stoßen und per Handkantenschlag, an der richtigen Stelle angebracht, das Genick brechen. Dass sie diese Methode so lange an einer Strohpuppe übt, bis sie die im Schlaf beherrscht, wird Nancy Wake in wenigen Monaten bei einer plötzlichen Begegnung mit einem Wachposten der SS das Leben retten – und seines beenden.
    Ein anderer Ausbilder der besonderen Art ist ein gewisser Kim Philby. Er lehrt das Aufspüren und den Gebrauch toter Briefkästen, er bringt ihnen bei, wie sie selbst im Untergrund Propaganda machen können für den notwendigen Kampf gegen die Nazis, um so Subagenten zu akquirieren. Denn es sei verdammt wichtig, »to organize sub-agents into cells that were unaware of each other’s existence« , Zellen so zu organisieren, dass sie nichts voneinander wissen.Der Mann sprach aus eigener Erfahrung. Schon damals war Kim Philby Agent im Dienste des berüchtigten sowjetischen Geheimdienstes NKWD . Ihn ausgerechnet in den britischen Secret Service und zudem bei Special Operations Executive eingeschleust zu haben ist einer der größten Erfolge der Russen. Enttarnt wurde er erst zwanzig Jahre später, aber vor der Festnahme durch seine ehemaligen Kollegen gelang ihm die Flucht ins Moskauer Exil. Das war, stand in ironischen Kommentaren der englischen Presse, seine verdiente Strafe. Eine lebenslängliche hätte ihn auch in Großbritannien erwartet.
    Weil sie nicht erst am Ende der Strapazen von einem Vorgesetzten hören will, wie ihre Leistungen bewertet werden, plant Nancy Wake eine Umsetzung der bis jetzt schon erfahrenen Theorie in eine konkrete Tat. Der Schlüssel für das Büro, in dem Beurteilungen aller Kursteilnehmer, täglich von den Ausbildern ergänzt und aufbereitet, aufbewahrt sind, hängt samt Nummer des zugehörigen Raums an einem Bord. Davor sitzt ein Sergeant und passt auf. Typisch für die »Weiße Maus« mit ihren kreativen Fähigkeiten, lässt sie sich davon nicht abschrecken. Den Wachhabenden abzulenken ist die Aufgabe eines ihrer französischen Kameraden aus der Gruppe, in der sie übrigens die einzige Frau ist, was sie in den Augen der Männer schon allein deshalb als einzigartig erscheinen lässt. Er soll dem irgendeine Geschichte erzählen, möglichst witzig, gern auch gewürzt mit ein paar Sauereien, hauptsächlich aber langatmig. Hinter beider Rücken schleicht sich Nancy ans Bord und macht in Sekundenschnelle einen Wachsabdruck des benötigten Schlüssels. Davon stellt sie in der Werkstatt ein Duplikat her. Auch so etwas hat sie in den

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