Codename Hélène
»tierische Feigheit« von ihr gewesen, gab sie nach dem Krieg zu, »die Reaktion eines Körpers, der den eisigen Arm des Todes spürte und plötzlich Wärme fand in den Armen eines Mannes, auch wenn es die des Feindes waren«. Sie verriet viele.
Nachdem sie Bleicher überzeugt hatte, dass es sinnvoll sei, sie nach England ausfliegen zu lassen und nicht zuzuschlagen, wenn die Lysander an der Bucht landete, um sie abzuholen, packte sie wiederum in England bei MI 5 aus und berichtetet, was sie aus dem Innern der deutschen Abwehr wusste. Sie wurde instruiert mit einer wasserdichten Geschichte, es wurden ihr geheime Dokumente über SOE übergeben, deren Inhalt aber längst überholt war, und dann die nunmehrige Triple-Agentin in einer Mondnacht per Lysander zurückgeschickt nach Frankreich in die Arme Bleichers.
Er war ein Ass bei der Abwehr. Alle Promotionen zum Offizier lehnte er ab. Mit einem niedrigen Dienstrang würde er besser und unauffälliger arbeiten können. Spione aufzuspüren und feindliche Netzwerke zu zerstören empfand er weniger als patriotischen Auftrag denn als professionelle Herausforderung. Ein Gefühl wie Hass würde da nur stören. Den bewahrte er sich auf für die Todfreunde, den Sicherheitsdienst Heinrich Himmlers, den SD . Über Kontakte aus dem Widerstand, von denen manche zu seinen Nachbarn in Paris gehörten, was er wusste, aber die erst dann wussten, dass er es wusste, als er sie vorsichtig ansprach, bot er vorgeblich Material aus dem Hauptquartier der Gestapo an. Er hasse die Nazis, sagte er, und wolle angeblich überlaufen.
Bei Verhandlungen an unauffälligen Treffpunkten nannte er nie seinen wahren Rang und seinen Namen, in den Akten des MI 5 steht er als »Colonel Henri«. In Wahrheit ließ er einige wichtige Agenten von SOE und Anführer verschiedener Gruppen der Résistance auffliegen und festnehmen. Was dann mit ihnen geschah, lag außerhalb seiner Befugnisse. Er lieferte nur an. Wusste aber natürlich, wie es in den Folterkellern der Gestapo zuging oder was den Gefangenen in deutschen Lagern angetan wurde. Nach dem Krieg verhafteten ihn auf der Flucht die Holländer, überstellten ihn nach England, wo er sich zwar auf seinen Diensteid berief, aber bereitwillig auspackte über seine Tätigkeit im besetzten Frankreich. Er wurde zwar angeklagt und verurteilt, doch eine persönliche Schuld an der Ermordung von ihm inhaftierter Agenten ließ sich nicht nachweisen. Nach Verbüßung seiner Haftstrafe kehrte Bleicher zurück nach Deutschland und veröffentlichte 1954 unter dem Titel Colonel Henri’s Story in Großbritannien seine Memoiren.
Eine der Frauen, die Bleicher hatte festnehmen lassen, hieß Odette Sansom. Die gebürtige Französin war nach der Kapitulation Frankreichs 1940 mit ihrem Mann, der sich dann de Gaulles Forces Françaises Libres anschloss, und ihren drei kleinen Töchtern nach England geflüchtet und nach Somerset aufs Land gezogen. Sie meldete sich als Ehrenamtliche zunächst bei FANY , wo ihre Fähigkeiten auffielen: in Frankreich aufgewachsen, mit Land und Leuten und Sitten deshalb vertraut, perfekt in der Sprache, was zwei Jahre später auch die Voraussetzung für die Verpflichtung von Nancy Fiocca alias Wake aus Marseille war. Nach der üblichen dreimonatigen Ausbildung unterschrieb sie, künftig darüber und über alles dabei Erlebte und Gelernte zu schweigen, und wartete auf den Befehl zum Einsatz. Am schwersten sei ihr die Entscheidung gefallen, sagte sie, ihre Töchter in England zurückzulassen und zu wissen, dass sie die möglicherweise nie wiedersehen würde. Ihr Fall führte zu heftigen Auseinandersetzungen in den Geheimdiensten. Es sei unverantwortlich gewesen, argumentierten die vom Secret Service nach dem Krieg in einer Aufarbeitung ihrer und der SOE -Geschichte, eine junge Mutter im Schattenkrieg einzusetzen.
Weil sie sich beim Fallschirmtraining verletzte, deshalb nicht über Frankreich abspringen konnte, brachte sie ein Fischerboot an der 1941 noch nicht von den Deutschen kontrollierten Küste in der Nähe von Cannes an Land. Von dort aus begann sie ihre Arbeit im französischen Untergrund. Ihr Kontaktmann war Peter Churchill, Leiter des Netzwerks »Spindle«, das Pendant »Prosper« führte ein anderer Engländer, Francis Sutill. Beide hatten Verbindungen miteinander und ebenso mit der Résistance. Einer vom französischen Widerstand ließ, unvorsichtig und sträflich leichtsinnig, während einer Zugfahrt eine unkodierte Liste mit zweihundert
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