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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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waren und freigelassen wurden, sind sie immer auf dem neuesten Stand der Verhörtechnik. Ihre Informationen setzen sie ein, um ihre Agenten auf solche Fälle vorzubereiten. In einer letzten Trainingseinheit vor dem Einsatz werden zum Beispiel die Frauen morgens um drei Uhr aus tiefem Schlaf gerissen, von Männern in schwarzer Uniform grob in ein finsteres Kellerloch geschleppt, dort mit kaltem Wasser übergossen oder an einen Stuhl gefesselt, ins Gesicht geschlagen – allerdings nicht so hart, wie es die echte Gestapo machen würde –, aus dem Dunkeln heraus, wo sie wegen des auf sie gerichteten grellen Lichtstrahls nichts erkennen können, laut brüllend gefragt, wer sie in Wirklichkeit sind und was sie hier in Frankreich vorhaben. Mal auf Englisch, mal auf Deutsch. Immer wieder eingestreut Fragen nach der ihnen in den vergangenen Wochen eingebläuten Biografie, um sie bei einem falschen Datum zu erwischen, einem falschen Ort, einer falschen Beziehung.
    Falls die »Opfer« durchhalten, ohne sich und andere zu verraten, wird die Verhörlampe ausgeschaltet, der Raum erleuchtet, die Delinquenten werden abgetrocknet oder von ihren Fesseln befreit, bekommen zur Beruhigung ihrer Nerven eine Tasse mit heißem Kakao und dürfen dann noch ein paar Stunden ungestört schlafen. Die brutale Prozedur ist Teil der Ausbildung und wird am Tag darauf Szene für Szene und Punkt für Punkt gemeinsam analysiert. Dabei werden die künftigen Agenten auf Fehler aufmerksam gemacht, sowohl in der Mimik als auch bei einzelnen Antworten. Die Agenten müssen auf alles vorbereitet sein.
    Männer werden härter angefasst bei den Tests und zusätzlich noch mit einer ihnen offensichtlich angeborenen Schwäche in Versuchung geführt – in Gestalt von honey traps . Der ihnen vertraute Ausbilder verabredet sich mit ihnen auf ein Bier in einem Pub oder auf einen Drink in einem Hotel, entschuldigt sich nach ein paar Minuten mit Hinweis auf einen dringenden Notfall und lässt den Agenten zurück. Der bleibt nicht lang allein. Eine junge Frau setzt sich zu ihm, verwickelt ihn ins Gespräch, blickt ihn bewundernd, anhimmelnd an, sobald er beginnt zu erzählen, und hakt nach, wenn er dunkle Andeutungen macht über seinen gefährlichen Job. Wer zu viel redet, wird anderntags aus dem Programm gestrichen.
    Wichtige Netzwerke von Special Operations Executive in Frankreich waren in den zurückliegenden Monaten zerrissen, ihre Anführer verhaftet oder erschossen worden. Den Deutschen war es gelungen, in den Circuits »Spindle« und »Prosper« eigene Leute zu etablieren, indem sie SOE -Agenten nach deren Festnahme zum Verrat zwangen oder mit Geld zur Mitarbeit lockten. Einer der angeblichen Doppelagenten war Henri Déricourt, beim britischen Geheimdienst unter dem Codenamen Gilbert geführt. Für seinen Verrat soll er insgesamt einen Judaslohn von vier Millionen Francs ( 20 0 00 Pfund) erhalten haben, die er brauchte, um sich seinen Lebenstraum, eine Hühnerfarm in der Provence, zu erfüllen. Er arbeitete für die Gestapo.
    Das bestritt er nach dem Krieg, als er in England vor Gericht gestellt wurde. Ehemalige Vorgesetzte von Special Operations Executive bürgten für ihn und erklärten vor Gericht, jederzeit und auf der Stelle würden sie nach wie vor ihm ihr Leben anvertrauen. Déricourt wurde freigesprochen. 1962 starb er bei einem Flugzeugabsturz. Danach waberten die üblichen Verschwörungstheorien: Er sei in Wahrheit vom Secret Service bei den ungeliebten Verbündeten von SOE eingeschleust worden, habe im Auftrag von MI 5 den Deutschen gefälschtes Material zugespielt, und dabei hatten halt, so hart und ungerecht sei nun mal das Geschäft, ein paar Agenten dran glauben müssen. Einen möglichen Mitwisser wie den einstigen obersten Gestapo-Mann in Paris, Josef Kieffer, mit dem sich Déricourt oft getroffen hatte, aber angeblich nur im Auftrag von MI 5 , um ihn auszuhorchen, konnte das Gericht nicht mehr befragen. Er war bereits zum Tode verurteilt und hingerichtet worden.
    Eine Widerstandskämpferin der Résistance, Mathilde Carré, bekannt als »Die Katze«, stellte man nach ihrer Verhaftung vor die Wahl, entweder künftig für die Deutschen zu arbeiten oder umgehend auf dem Hof erschossen zu werden. Die Entscheidung fiel ihr leicht. Die Abwehr, vertreten durch Hugo Bleicher, Feldwebel der Wehrmacht, sicherte sich ihre Dienste, bevor die Gestapo ihrer habhaft wurde. Mathilde wurde nicht nur seine Agentin, sondern auch seine Geliebte. Es sei einfach eine

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