Codename Merlin - 3
Euch zu ermorden, und das auch noch ausgerechnet in der Kathedrale selbst.« Ahdymsyn schüttelte den Kopf, als könne er selbst jetzt noch nicht glauben, jemand könne versucht haben, einen Erzbischof in seiner eigenen Kathedrale umzubringen − ganz egal, welchen Erzbischof. »Dennoch bestand kein Zweifel daran, dass wir tatsächlich Gefangene waren, wie höflich man sich uns gegenüber auch verhalten hat.«
»Das verstehe ich wohl«, erwiderte Staynair. »Tatsächlich waren Sie beide genau das, und das gleich aus mehrerlei Gründen. Erstens natürlich wegen Ihrer Positionen in der Hierarchie der Kirche hier in Charis. Zweitens, weil es so viele Gründe gab − viele davon durchaus stichhaltig, selbst für König Cayleb −, Euch aktiv gegen unser Vorgehen hier zu stellen. Diese Opposition wäre schlichtweg unvermeidbar gewesen, und um ganz ehrlich zu sein: Sie beide hätten, in unterschiedlicher Art und Weise, beträchtlichen Einfluss auf einige Mitglieder des hiesigen Klerus nehmen können. Und drittens, um es mit aller Offenheit zu sagen, und ob Sie beide das nun glauben oder nicht, dieses Vorgehen stellte zugleich auch einen Versuch dar, Sie beide zu beschützen. Um selbst der ›Vierer-Gruppe‹ deutlich zu zeigen, dass Sie beide keineswegs in all diese Vorgehensweisen verwickelt waren.«
Obwohl er gerade eben selbst offen ausgesprochen hatte, was der Großinquisitor und seine Kollegen für Charis im Sinn gehabt hatten, kniff Ahdymsyn doch kaum merklich die Augen zusammen, als Staynair die Bezeichnung ›Vierer-Gruppe‹ verwendete. Doch er erhob nicht die Stimme gegen die Wortwahl des Erzbischofs.
»Niemand hat uns diesen Aspekt erklärt, Eure Eminenz. Dennoch war ich mir dessen bewusst. Und um nun Offenheit mit Offenheit zu vergelten: Ich war nicht gerade zuversichtlich, dass dies allzu hilfreich sein würde, zumindest in meinem Falle. Soweit ich weiß, ist es auch in Eurer eigenen Navy Tradition, dass der Captain für alles verantwortlich ist, was an Bord seines Schiffes geschieht. Der Rat der Vikare wird − mit Recht, um ehrlich zu sein − mich zumindest teilweise zur Verantwortung ziehen für das, was sich hier ereignet hat.
Dennoch war es meine Absicht, mich vom Widerstand Eures Königreiches gegen Mutter Kirche loszusagen. Ich kann Euch diese berechtigte Verteidigung, diese Abwehr eines grundlos gegen Charis geführten Angriffs, keineswegs vorwerfen, aber ich war der Ansicht, indem Ihr selbst die Autorität des Großvikars bestreitet, seiet Ihr zu weit gegangen. Nicht nur im Sinne der kirchlichen Lehre, sondern tatsächlich angesichts der unvermeidbaren Konsequenzen, die dieses Vorgehen nicht nur für Charis haben wird, sondern für ganz Safehold.
Und dann erhielt ich gestern dieses Schriftstück.«
Er streckte dem Erzbischof das Schreiben entgegen, das er aus seiner Tasche gezogen hatte.
»Und was ist das?«, erkundigte sich Staynair höflich.
»Ein persönliches Schreiben von Erzbischof Erayk«, antwortete Ahdymsyn sehr leise. »Gleichermaßen an Pater Paityr und mich gerichtet.«
»Ich verstehe.«
Es war Staynair gelungen, sich erneut keinerlei Überraschung anmerken zu lassen, weder in seinem Tonfall noch in seiner Mimik, doch er wäre niemals auf den Gedanken gekommen, Erayk Dynnys könne sich mit einem Brief persönlich an Ahdymsyn und Wylsynn wenden. Und er hatte auch keinerlei Grund gehabt anzunehmen, ein derartiges Schreiben sei eingetroffen. Auf Staynairs eigenes Beharren hatte Cayleb angeordnet, sämtliche an seine ›Gäste‹ gerichtete Post sei ohne Überprüfung auszuhändigen. Der König hatte zwar befohlen, jegliches Schreiben, das diese beiden abzusenden wünschten, sorgfältig zu überprüfen und notwendigenfalls zu zensieren, aber niemand hatte versucht, Einfluss darauf zu nehmen, welche Nachrichten Ahdymsyn oder Wylsynn erreichten.
»Da dieses Schreiben der Grund für dieses Gespräch zu sein scheint, darf ich wohl annehmen, Sie werden mich über dessen Inhalt in Kenntnis setzen.«
»Das dürft Ihr, Eure Eminenz.« Ahdymsyns Stimme klang deutlich schwerfälliger, und er hatte das Gesicht fast zu einer Grimasse verzogen.
»Eure Eminenz«, sprach er weiter, »Erzbischof Erayk ist tot.«
»Wie bitte?« Ruckartig richtete sich Staynair hinter seinem Schreibtisch weiter auf.
»Ich sagte: ›Erzbischof Erayk ist tot‹«, wiederholte Ahdymsyn. »Die Nachricht hat Charis noch nicht erreicht. Dessen bin ich mir bewusst. Doch Erzbischof Erayks Schreiben lässt keinerlei
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