Codename Merlin - 3
Nahrmahn stand am Fenster seines Palastes und blickte auf die strahlend blaue Bucht hinaus. Die Handelsflotte von Emerald war noch nie sonderlich groß gewesen, verglichen mit der von Charis oder auch nur der von Corisande, doch in den letzten Tagen drängten sich an den Kais zahlreiche Handelsschiffe, die es nicht wagten, auf See hinauszufahren. Weitere Schiffe lagen weiter vom Hafen entfernt vor Anker. Die Ankerplätze und Helligen der Kriegsflotte hingegen waren so gut wie verwaist. Neun Galeeren − alles, was von Nahrmahns gesamter Navy noch übrig geblieben war! − drängten sich geradezu mitleiderregend aneinander, als suchten sie Trost und Zuflucht in der Gemeinschaft.
Zwei weitere Galeeren waren seitlich davon vor Anker gegangen, und mit finsterer Miene spähte Nahrmahn zu den beiden großen Zweimastern hinüber. Das waren die einzigen Prisen, die die Flotte von Herzog Black Water hatte aufbringen können, bevor Haarahld und Cayleb von Charis im Gegenzug seine eigenen Schiffe völlig zerstört hatten. Zufälligerweise hatten sie sich gerade hier vor Eraystor aufgehalten, als rings um Black Water die Hölle losgebrochen war, auch wenn Nahrmahn nicht erwartete, dass seine ehemaligen ›Verbündeten‹ an diesen Zufall glaubten, der ›glücklicherweise‹ dafür gesorgt hatte, dass gerade Nahrmahn diese Schiffe in seine Gewalt bekommen hatte.
An dem Tag, an dem jene Schiffe eintrafen, war Nahrmahn persönlich hinuntergegangen, um sie zu inspizieren. Er war zwar kein erfahrener Flottenoffizier, doch selbst er war in der Lage gewesen, den Erläuterungen darüber zu folgen, wie sonderbar die Artillerie der Charisianer montiert war und warum diese neuen Waffen so ungleich effektiver waren. Nicht, dass Nahrmahn sich besser gefühlt hätte, nachdem er das verstanden hatte − vor allem, wenn er darüber nachdachte, dass er, als der geographisch nächstgelegene Partner in diesem Bündnis gegen Charis, höchstwahrscheinlich auch derjenige sein würde, dem König Cayleb als Erstem seine Aufmerksamkeit schenken würde. Und die Tatsache, dass sämtliche Insel-Verteidigungsanlagen seiner Hauptstadt eingenommen worden waren, betonte das nur noch nachdrücklich.
Er wandte sich um, als die Tür des Raumes geöffnet wurde und Trahvys Ohlsyn, Graf Pine Hollow, und Commodore Hainz Zhaztro eintraten.
Pine Hollow war Nahrmahns Vetter und zugleich auch sein Erster Ratgeber − und einer der wenigen Höflinge, denen der Prinz wirklich vertraute. Zhaztro hingegen war der ranghöchste − tatsächlich sogar der einzige − Staffelkapitän der Emerald Navy, der aus der Schlacht im Darcos-Sund zurückgekehrt war. Nahrmahn wusste, dass es einige gab, die Zhaztro mit Skepsis betrachteten − sie zweifelten an seinem Mut ebenso wie an seiner Treue −, einfach nur, weil er der ranghöchste Offizier war, der wieder nach Hause zurückgekehrt war. Nahrmahn selbst hingegen erging es nicht so − was ihn selbst ein wenig überraschte. Die Tatsache, dass Zhaztros Flaggschiff mehr als dreißig Prozent Verluste zu beklagen und so schwere Beschädigungen davongetragen hatte, dass sie doch letztendlich zum Meeresgrund abgesunken war, nachdem sie sich mit letzter Kraft zurück in den Hafen der Flotte hatte zurückschleppen können, war für Nahrmahn Beleg genug für die fachliche Kompetenz des Offiziers.
»Ihr wolltet uns beide sprechen, Mein Prinz?«, fragte Pine Hollow und verneigte sich. Nahrmahn stand auf.
»Ja«, sagte er und bedeutete den beiden mit einer Handbewegung, sich zu ihm an das Fenster zu gesellen.
Pine Hollow und Zhaztro kamen der wortlosen Aufforderung nach, und der Erste Ratgeber fragte sich, ob diesem Flottenoffizier überhaupt bewusst war, wie untypisch Nahrmahns Verhalten während der letzten Fünftage gewesen war. Falls Pine Hollow sich nicht täuschte, hatte sein kleingewachsener, rundlicher Prinz sogar an Gewicht verloren. Einige Leute hätten das bei jemandem, der sich in einer Lage wie der Nahrmahns befand, als nicht sonderlich bemerkenswert erachtet, doch Pine Hollow kannte seinen Vetter schon seit seiner Kindheit, und er konnte sich an nichts, wirklich an gar nichts, erinnern, was Nahrmahn den Appetit hätte verderben können. Und Nahrmahn passte auch nicht zu der allgemein üblichen Vorstellung eines niedergeschlagenen Mannes, der immer tiefer in Verzweiflung versank. Tatsächlich wirkte Nahrmahn sogar konzentrierter und energiegeladener, als Pine Hollow ihn jemals zuvor erlebt hatte.
»Ich habe gerade erst
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