Codename Merlin - 3
irgendwann andere Bedingungen anbieten sollte als eine bedingungslose Kapitulation und ein Schafott mit Aussicht, dann wird das keineswegs eine Diskussion zwischen Gleichgestellten sein, und ich möchte, dass ihm das klar ist. Völlig klar. Und bitte, Merlin, nehmt zur Kenntnis, dass ich ›falls‹ gesagt habe.«
Merlin nickte nur. Dieses Spiel hatte Cayleb von seinem Vater gelernt, und Haarahld VII. war einer der kunstfertigsten Meister der … praktischen Diplomatie gewesen, die Safehold je hervorgebracht hatte. Offensichtlich hatte Cayleb die Absicht, diese Tradition aufrechtzuerhalten. Und seine Form der ›Diplomatie‹ schien doch noch ein wenig mehr auf roher Gewalt zu basieren als die seines Vaters.
Aber hätte sich Haarahld in der Lage befunden, die Cayleb jetzt erlebt, hätte er, so denke ich, wohl viele sehr ähnliche Entscheidungen getroffen, ging es Merlin durch den Kopf.
»Bitte denkt noch einmal über alles nach, was Ihr bislang über die Pläne von Nahrmahn und diesem … wie heißt er noch? Zhaztro? … gesehen habt«, bat Cayleb ihn. »Morgen früh werden wir beide, Ihr und ich, uns dann mit Bryahn besprechen, und ich werde ihm berichten, dass ich mich entschieden habe, dass er mit Nahrmahn Kontakt aufnehmen soll. Zu dritt sollten wir wohl in der Lage sein, uns eine geeignete Methode zu überlegen, wie man Nahrmahn ein wenig unter Druck setzen kann.«
.VIII.
Erayk Dynnys’ Zelle und der Platz der Märtyrer, am Tempel Gottes, Stadt Zion, die Tempel-Lande
Erayk Dynnys stützte sich auf seinen Gehstock mit dem silbernen Knauf, um sich von dem Kniestuhl zu erheben, der vor dem schlichten Abbild Langhornes an der Zellenwand stand. Das Knie, das nach jenem Sturz vor anderthalb Jahren nur unzureichend verheilt war, bereitete dem ehemaligen Bischof von Charis in letzter Zeit zunehmende Schwierigkeiten. Nicht, so ging es ihm durch den Kopf, dass das noch lange von Bedeutung sein würde.
Seine Lippen zuckten, fast lächelte er, als er nur einen Schritt von dem Fenster zurücktrat und sich noch einmal in der kleinen, karg eingerichteten Zelle umschaute, in der er die letzten dreieinhalb Monate verbracht hatte. Nackte, nicht einmal verputzte Steinwände, schmale, vergitterte Fenster und eine schwere, verriegelte Tür. Das war eine ganz andere Welt als die luxuriöse Wohnung, in der er als Erzbischof von Charis gelebt hatte − vor diesem anderen, deutlich schlimmeren, Sturz. Und doch …
Er wandte sich dem kleinen Schreibtisch unter dem Fenster zu und ließ sich auf den davorstehenden Stuhl sinken. Seit seiner Festnahme hatte man ihm lediglich ein Exemplar der Heiligen Schrift und die zwölf dicken Bände der Erkenntnisse zu lesen gestattet.
Sanft berührte er das goldene Szepter Langhornes, das in den reich verzierten Ledereinband der Heiligen Schrift eingeprägt war. In den letzten Jahrzehnten hatte er, so musste er sich eingestehen, nicht allzu viel Zeit damit verbracht, in diesem Buch zu lesen. Gewiss, er hatte gelegentlich darin nachgeschlagen, wenn er etwa eine bestimmte Stelle für einen bischöflichen Erlass benötigte. Er hatte darin geblättert, um ein Zitat aus der Heiligen Schrift als Grundlage für einen Brief an seine Gemeinde oder eine seiner seltenen Predigten zu nutzen. Aber richtig darin gelesen hatte er nicht mehr, seit man ihm den Rubinring eines Bischofs verliehen hatte. Man hätte nicht sagen können, die Heilige Schrift sei bedeutungslos für ihn gewesen. Im Seminar hatte er sie ausgiebig studiert und zu seiner Zeit als Unterpriester regelmäßig daraus gepredigt. Als Bischof hatte er dann längst gewusst, was in diesem Buch stand, nicht wahr? Natürlich! Und die Pflichten und Aufgaben eines Bischofs, mehr noch die eines Erzbischofs, hatten ihn einfach Tag für Tag zu sehr beschäftigt. Ihm war nicht die Zeit geblieben, in der Heiligen Schrift zu lesen, und natürlich war sein Amt und alles, was damit einherging, stets wichtiger gewesen.
Das ist doch wirklich eine schöne Entschuldigung, was, Erayk?, fragte er sich, während seine Fingerspitzen über das Szepter strichen, das auch das Emblem des Ordens war, dem er angehört hatte … bis zu seinem Ausschluss. Wirklich schade, dass du dich nicht länger damit befasst hast. Dann wärst du vielleicht wenigstens etwas besser auf diesen Augenblick vorbereitet.
Und vielleicht hätte es auch überhaupt keinen Unterschied gemacht, denn sowohl die Heilige Schrift als auch die Erkenntnisse gingen davon aus, dass diejenigen, die in den
Weitere Kostenlose Bücher